“Squid Game” – eine ins Tödliche übersteigerte Form des Ultrakapitalismus

 

111 Millionen Haushalte hat die Netflix-Serie “Squid Game” bereits erreicht, so die “NZZ am Sonntag” vom 17. Oktober 2021. In “Squid Game” kämpfen Menschen, die von der Leistungsgesellschaft ausgeschieden wurden, ums nackte Überleben, getrieben von der Hoffnung, ein gigantisches Preisgeld zu gewinnen, um damit wieder in die Gesellschaft zurückzukehren – wenn sie das nicht schaffen, werden sie kaltschnäuzig hingerichtet. Doch trotz aller Brutalität ist im Film nie Blut zu sehen – die Zuschauerinnen und Zuschauer erleben gleichsam “steriles” Töten und sollen offensichtlich nicht auf den Gedanken kommen, es könnte etwas Leidvolles und Schmerzliches sein. “Squid Game”, so der Filmwissenschafter Marcus Steinegger, “ist eine ins Tödliche übersteigerte Form des Ultrakapitalismus, wie wir ihn in unserer Gesellschaft erleben: In der heutigen Berufswelt müssen wir alle Top of the Game sein, an der Spitze stehen. Wenn wir das nicht schaffen, sind wir weg. Und diesem Wettkampf sind schon die Kinder und die Jugendlichen von klein auf ausgesetzt.” Ich frage mich, was für einen Nutzen Filme wie “Squid Game” haben sollen – ausser natürlich für die Produzenten des Films und aller anderen, die damit Geld verdienen. Es ist die uralte Frage: Wird das Aggressionspotenzial, das in jedem Menschen auf die eine oder andere Weise schlummert, durch den Konsum solcher Medienprodukte abgebaut und “unschädlich” gemacht, oder doch eher zusätzlich angeheizt? Das Beispiel einer belgischen Primarschule, wo die Kinder auf dem Pausenplatz “Squid Game” nachgespielt und ihre Kolleginnen und Kollegen, die beim Spiel verloren hatten, verprügelt haben, deutet doch eher darauf hin, dass Verhaltensmuster von Ausgrenzung und Gewalt als Folge der entsprechenden “Vorbilder” eher verstärkt als in harmlose Bahnen gelenkt werden. Grundsätzlich ist ja davon auszugehen, dass jedes Kind von Natur aus eine “fürsorgliche” wie auch eine latent “feindselige” Seite hat. Da müsste doch, wenn wir an das Zusammenleben der Menschen und die gegenseitige Solidarität im Kleinen wie auch im Grossen denken, alles unternommen werden, um die fürsorgliche Seite der Menschen zu stärken und zu fördern. Diese Forderung steht freilich in absolutem Gegensatz zur Medienindustrie, der es um nichts anderes geht, als – im Sinne des Kapitalismus – in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen. Das ist in doppeltem Sinne fragwürdig: Zum einen, indem die latent vorhandene Aggressivität von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen schamlos ausgenützt und zu Geld gemacht wird, zum einen aber auch dadurch, dass gerade Filme wie “Squid Game” durch das Glorifizieren gewalttätiger “Helden” genau dieses kapitalistische Muster einer gnadenlosen Klassengesellschaft, der die Menschen hilflos ausgeliefert sind, zusätzlich anheizt und als das “Normale” erscheinen lässt – ohne auch nur im Entferntesten eine Alternative dazu aufzuzeigen. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann einen Film mit dem Titel “Squid Game, Teil zwei”. In dieser Fortsetzungsgeschichte gäbe es keine Waffen, nur die Waffen der Liebe. Es gäbe keine Ausgrenzungen, nur die Macht gegenseitiger Solidarität. Es gäbe auch keine Siegerpodeste, keine Wettbewerbe, keine Siege und keine Niederlagen, nur eine Welt, in der jeder Mensch voller Selbstvertrauen, voller Wertschätzung und gegenseitiger Anerkennung leben könnte…