Die erstaunlich revolutionäre Idee eines Investmentbankers

 

James Breiding, Gründer und Chef der Zürcher Investmentfirma Naissance Capital, fordert in der “NZZ am Sonntag” vom 5. Dezember 2021 eine “globale Zentralbank gegen den Klimawandel”. Zur Begründung seiner Forderung erinnert er an die US-Wirtschaftskrise 1907. Der Bankier J. P. Morgan war überzeugt, dass es die Zusammenarbeit sämtlicher Finanzinstitute brauchte, um das System zu retten. So rief er Dutzende der führenden Financiers in New York in seine Privatbibliothek und befahl ihnen, Mittel zur Stärkung des Systems bereitzustellen. Er zwang die Eingeladenen, die ganze Nacht dort zu bleiben, bis alle seinem Plan zustimmten. Es funktionierte – die Stabilität des Finanzsystems war gerettet. Weil J. P. Morgan erkannt hatte, dass etwas “Proaktives” und “Systematisches” geschehen musste. Denn, so Morgan: “Es ist einfach zu gross für jeden Einzelnen von uns.” Breiding fordert nun in seinem Artikel ein ähnliches Vorgehen bei der Lösung der Klimakrise. “Es gibt Momente”, schreibt er, “in dem Probleme zu schwierig werden, um von schwerfälligen Demokratien gelöst zu werden.” Breiding denkt, in Bezug auf die Klimakrise, an einen “vertrauenswürdigen Schiedsrichter”, der koordiniert und vermittelt, was einzelne Länder einfach nicht leisten können.” Denn: “Supranationale Probleme erfordern supranationale Lösungen.” Und: “Unlösbare Probleme erfordern kühnes, innovatives Denken, ja sogar Experimente, keine Wiederholung des Status quo.” Bemerkenswert, dass für einmal nicht ein Klimaaktivist, sondern ein eingefleischter Investmentbanker Thesen vertritt, die bei genauerem Hinsehen durchaus etwas Revolutionäres an sich haben. Läuft doch die Idee eines “supranationalen Schiedsrichters” der Grundphilosophie des “Freien Marktes”, auf dem sich die verschiedenen Player im offenen Konkurrenzkampf möglichst uneingeschränkt gegenüberstehen, diametral entgegen. Und wenn Breiding “innovatives Denken”, “Experimente” und “keine Wiederholung des Status quo” fordert, dann erinnert das an die Aussage Albert Einsteins, wonach man Probleme nicht mit der gleichen Denkweise lösen könne, mit der sie entstanden seien. Vielleicht wäre ja ein “supranationaler Schiedsrichter” bloss der erste Schritt hin zu einer Art Weltregierung, die dann nicht nur für die Klimakrise Verantwortung übernähme, sondern auch für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, für Gesundheitskrisen wie die Coronapandemie, für Verkehrsfragen, für die Lösung zwischenstaatlicher Konflikte, für die Bekämpfung von Hunger und Armut, für die Förderung der sozialen Gerechtigkeit. Denn alle diese Probleme sind in einer so globalisierten Welt wie der unseren aufs engste miteinander verflochten und jedes von ihnen kann nur gelöst werden, wenn alle anderen auch gelöst werden. Oder, wie es der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt formulierte: “Was alle angeht, können nur alle lösen.” Es wäre wohl das Beste, was wir aus den gegenwärtigen, uns allen so schwer bedrohenden Krisen lernen können: Dass wir alle diese Probleme nicht mehr gegeneinander, sondern nur noch miteinander lösen können, sind sie doch, wie J. P. Morgan schon 1907 wusste, schlicht und einfach “zu gross für jeden Einzelnen von uns.”