Die Olympischen Spiele und das Konkurrenzprinzip, das immer mehr an seine Grenzen stösst

 

In wenigen Tagen werden Millionen von Menschen ihren Blick nach Peking richten. Die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele wird zweifellos ebenso gigantisch sein wie all die Gebäude und Anlagen, die alles Bisherige in den Schatten stellen, bis hinauf zu den Gebirgsketten, wo mit riesigem Aufwand Skipisten erstellt wurden, die nur mit künstlichem Schnee betrieben werden können – als gäbe es keine Klimaerwärmung, kein schmelzendes Polareis, keine Überflutung bedrohter Küstengebiete und keine Länder, wo infolge von Hitze und Dürre kaum noch etwas wächst. Der Sport scheint ganz offensichtlich jener Zweck zu sein, der auch die schlimmsten Mittel heiligt. Doch nicht nur die gigantischen Bauten für die 15 olympischen Disziplinen, die nach Gebrauch wieder nutzlos in der Landschaft herumstehen werden, sind Ausdruck jenes globalen Wetteiferns im Konkurrenzkampf aller gegen alle, die sportlichen Wettkämpfe sind es genau so: Zu Beginn zieht jedes Team mit erhobener Flagge in die Halle, wo die Eröffnungsfeier stattfindet. Zwei Wochen später zählt jedes Land die gewonnenen Medaillen, die “Sieger” stehen im Scheinwerferlicht, die “Verlierer” verschwinden im Dunklen. Wir haben uns das Konkurrenzprinzip, das auch in der Wirtschaft und in der Arbeitswelt alles dominiert, selbst den Kindern in der Schule schon von klein auf eingebläut wird und im Spitzensport wohl seine extremste Form findet, so sehr gewöhnt, dass wir uns etwas anderes schon gar nicht mehr vorstellen können. Aber versuchen wir doch mal, uns die Absurdität des Konkurrenzprinzips am Beispiel des Spitzensports vor Augen zu führen. Ob Eiskunstlauf, Langlauf, Skispringen, Bob oder Ski alpin, es ist immer das gleiche Prinzip: Wenn 50 Fahrer die Abfahrtspiste hinunterrasen, liegt es in der Natur der Sache, dass sie unterschiedlich viel Zeit brauchen, um ins Ziel zu gelangen. Zwar sind das die 50 verrücktesten, wildesten, verwegensten, mutigsten und schnellsten Männer der Welt, die da eine Leistung vollbringen, von der alle übrigen Skifahrer der Welt nicht einmal zu träumen wagen. Eigentlich müsste man alle diese 50 Fahrer aufs Podest stellen und ihnen alle eine Medaille verleihen, da ja der “Langsamste” unter ihnen vielleicht bloss drei oder vier Sekunden länger gebraucht hat als der Schnellste. Und schliesslich haben ja alle diese 50 Fahrer viele Jahre ihres Lebens dem Training geopfert, zahlreiche Unannehmlichkeiten, Stürze, Verletzungen und Rückschläge in Kauf genommen. Doch, wie wir alle wissen: Am Ende werden nur drei von ihnen auf dem Podest stehen, von den weiteren sieben ist im besten Falle noch da und dort ein wenig die Rede, alle anderen verschwinden im Niemandsland. Aber es ist noch viel absurder: Die besten Drei sind ja nur deshalb die Besten, weil alle anderen “schlechter” waren. Gäbe es keine Verlierer, dann gäbe es auch keine Sieger. Wäre nur ein einziger Fahrer hinuntergesaust, er hätte so schnell oder so langsam fahren können, wie er wollte, er hätte weder verloren noch gewonnen, er wäre zugleich der Beste und der Schlechteste gewesen. Eigentlich müsste der Sieger allen anderen dankbar sein: Nur weil sie mitgemacht haben und schlechter waren, wurde er zum Sieger. So wird der olympische Kampf um Gold, Silber und Bronze zum Zerrbild jenes Konkurrenzkampfs, der unseren gesamten Alltag prägt, wo die Menschen in der kapitalistischen Arbeitswelt gegeneinander um Aufstiegschancen, Lohnerhöhungen und den Lebensstandard kämpfen, den man sich je nach dem materiellen Bedingungen leisten kann oder nicht. Wie beim Skirennfahrer, der nur deshalb so gut ist, weil die anderen schlechter sind, kann sich auch der Abteilungsleiter eines Einkaufszentrums nur deshalb einen so guten Lohn leisten, weil sich alle seine Untergebenen, auch wenn sie noch so hart arbeiten, mit einem niedrigeren Gehalt zufrieden geben müssen. Dass das Konkurrenzprinzip letztlich ein zerstörerisches Prinzip ist, zeigen uns die zahlreichen Verletzungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen, von denen Spitzensportlerinnen und Spitzensportler immer häufiger betroffen sind – sei es im Skirennlauf, im Kunstturnen, im Tennis oder im Eiskunstlauf. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass man früher oder später Alternativen zum traditionellen Spitzensport mit all seinen schädlichen Auswirkungen suchen, politisches Wettrüsten auf Kosten von Athletinnen und Athleten in allen seinen Formen überdenken und der immer absurdere Gigantismus sportlicher Grossanlässe wie den Olympischen Spielen einer ökologisch und gesellschaftlich verträglichen Alternative Platz machen müsste.