Die Diskussionen rund um das Mediengesetz: Verkehrte Welt

 

Es ist schon seltsam. Die Gegnerinnen und Gegner des Medienpakets warnen vor einer drohenden Bevormundung der Medien durch den Staat, falls noch mehr finanzielle Mittel vom Staat an die Medien fliessen würden. Diese würden dadurch, so wird argumentiert, zu eigentlichen “Staatsmedien”, welche keine freie und kritische Meinungsbildung mehr zuliessen. Was für eine unglaubliche Verdrehung der tatsächlichen Machtverhältnisse! Das Schreckgespenst “Staatsmedien” lenkt doch bloss davon ab, dass die tatsächliche Beeinflussung der Meinungsbildung nicht vor allem durch den Staat erfolgt, sondern durch das herrschende kapitalistische Wirtschaftssystem und alle mit ihm verbundenen Werte und Denkvorstellungen. Diese Vereinnahmung der öffentlichen Meinungsbildung durch die Leitideen und Dogmen des “Freien Marktes” erfolgt schon seit Jahrzehnten schleichend und systematisch. Vor vielen Jahren gab es noch eine Vielzahl “linker”, kapitalismuskritischer Volksblätter als wichtige alternative Stimmen und als Beitrag zu kritischer Meinungsbildung – alle diese Stimmen sind ausnahmslos von der Bildfläche verschwunden. Selbst die in der Öffentlichkeit als “links” wahrgenommene “Wochenzeitung” bewegt sich weitgehend in den Denkbahnen des “Freien Marktes”. Nicht der Staat bedroht die Meinungsvielfalt, sondern die alles durchdringende Ausbreitung der kapitalistischen Denkweise, so dass wir vor lauter Bäumen den Wald schon gar nicht mehr sehen und uns einbilden, in der besten aller möglichen Welten zu leben, zu der es keine Alternative gibt. Wenn ich meine Tageszeitung lese, dann wird mir immer wieder über Fehlentscheide von Politikerinnen und Politiker berichtet, über Kandidatinnen und Kandidaten für politische Ämter und deren Stärken und Schwächen, über zur Abstimmung gelangende Gesetze und ihre Vor- und Nachteile, über Meinungsumfragen zu aktuellen Themen. Aber höchst selten lese ich einen Artikel über das Versagen und die Widersprüche des kapitalistischen Wirtschaftssystems und seine gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen in einer Welt zunehmender sozialer Ungleichheit und einer nie dagewesenen Bedrohung der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen als Folge eines ungebrochenen Glaubens an endloses Wirtschaftswachstum und endlose Profitmaximierung. Und erst recht lese ich nie einen Artikel darüber, wie ein alternatives, nichtkapitalistisches Wirtschaftssystem, das ein gutes Leben für weltweit alle Menschen verwirklichen würde, aussehen könnte. Wenn wir daher am 13. Februar 2022 zum Mediengesetz Ja sagen, dann ist noch lange nicht die heile Welt Wirklichkeit geworden, von der ich träume. Aber wir würden wenigstens das kleinere Übel wählen. Denn es geht nicht bloss darum, wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga sagt, “dem Staat auf die Finger zu schauen”. Es geht in weit grösserem Masse darum, einem Wirtschaftssystem “auf die Finger zu schauen”, das uns weit stärker in seinen Klauen hält, als ein demokratischer Staat jemals dazu in der Lage wäre.