Der Ukrainekonflikt: Historische Chance verpasst

 

Im “Tagesanzeiger”-Artikel “Putin beginnt einen neuen Kalten Krieg” vom 23. Februar 2022 wird der US-Historiker George F. Kennan zitiert, der in den späten 1940er-Jahren der sowjetischen Aussenpolitik “Geheimniskrämerei, Mangel an Offenheit, Doppelzüngigkeit und grundsätzlich unfreundliche Absichten” vorgeworfen hatte. Objektiverweise müsste man aber hinzufügen, dass der gleiche George F. Kennan viele Jahre später, nämlich 1997, auch noch Folgendes gesagt hatte: “Die Entscheidung, die NATO bis zu den Grenzen Russlands zu erweitern, ist der verhängnisvollste Fehler und wird die russische Aussenpolitik in eine Richtung zwingen, die uns entschieden missfallen wird.” Während längerer Zeit lehnte auch der US-amerikanische Präsident Bill Clinton eine NATO-Mitgliedschaft osteuropäischer Staaten ab. Am 26. Juni 1997 äusserten mehr als 40 ehemalige Senatoren, Regierungsmitglieder, Botschafter, Abrüstungs- und Militärexperten in einem offenen Brief ihre Bedenken gegenüber einer Osterweiterung der NATO. Ähnlich äusserte sich auch der frühere Verteidigungsminister der USA Robert Gates. Und Frankreichs Präsident François Mitterrand erklärte: “Ich persönlich würde es begrüssen, sowohl den Warschauer Pakt wie auch die NATO schrittweise aufzulösen.” Europa stünde wohl heute nicht an der Schwelle eines grösseren Kriegs mit unabsehbaren Folgen, wenn man auf diese warnenden Stimmen von damals gehört hätte…