Anna Netrebko und das Opernhaus Zürich: Es braucht auch Menschen zwischen den Fronten

 

Anna Netrebko, die als weltbeste Sopranistin gilt, verurteilt den Krieg ihres Heimatlandes gegen die Ukraine aufs Schärfste: “Ich bin gegen diesen Krieg”, liess sie gemäss “Tagesanzeiger vom 28. Februar 2022 verlauten, “ich will, dass dieser Krieg aufhört und alle in Frieden leben können.” Mit dieser Stellungnahme läuft Netrebko Gefahr, nicht mehr nach Russland reisen zu können. Trotzdem erwägt das Opernhaus Zürich, ihr auf den 26. und 29. März geplantes Gastspiel als Lady Macbeth zu streichen, dies nicht zuletzt auf Druck aus verschiedenen Medien. Der Grund: Im Jahre 2014 hätte sie sich mit der grossrussischen Flagge fotografieren lassen und ihren 50. Geburtstag hätte sie im Kreml gefeiert, wo Putin eine spezielle Grussbotschaft für sie verlesen hätte. So verbrecherisch und durch nichts zu rechtfertigen der Krieg Russlands gegen die Ukraine zweifellos ist, sollte man bei alledem doch nicht jegliches Augenmass gänzlich verlieren. Oder wäre es dem Opernhaus Zürich nach dem völkerrechtswidrigen Krieg der USA gegen den Irak im Jahre 2003 mit mehr als einer halben Million ziviler Opfer auch nur im Entfernesten in den Sinn gekommen, einem amerikanischen Opernsänger oder einer amerikanischen Opernsängerin nur deshalb einen Auftritt zu verweigern, weil sie irgendwo irgendwann mit einer amerikanischen Flagge fotografiert wurden oder an einer Geburtstagsfeier von George W. Bush aufgetreten waren? In einer Zeit zunehmender Polarisierung und der Tendenz, jeden, der nicht mein Freund ist, zu meinem Feind zu erklären, braucht es auch Menschen, die zwischen den Fronten stehen. Menschen wie Anna Netrebko, die sich dazu bekennt, “keine Politikerin, sondern eine Künstlerin” zu sein: “Mein Ziel ist es, Menschen über politische Grenzen hinweg zu vereinen.” Kann es ein schöneres, wichtigeres Ziel geben? Man möchte ihr, nicht nur am Opernhaus Zürich, sondern auch an möglichst vielen weiteren Orten, möglichst viele glanzvolle Auftritte gönnen. Eine Absage ihres Gastspiels am Opernhaus Zürich wäre ein trauriger Kniefall vor dem zunehmenden Geist der Spaltung und einer Feindbildmentalität, die schon mehr als genug Schaden angerichtet haben.