Klimastreik Zürich: Das alles nütze sowieso nichts? Je mehr mitmachen, umso mehr nützt es!

 

Klimastreik am 23. März 2022 in Zürich. Viele hätten sie am liebsten schon totgesagt, haben alles ins Lächerliche gezogen, haben von “Träumerinnen” und “Phantasten” gesprochen, doch jetzt ist sie wieder da, die Klimabewegung, jetzt, wo der Winter vorüber ist und ein wunderbarer Frühlingstag alles überstrahlt. Ja, sie ist wieder da, die Klimabewegung, stärker denn je, vielleicht nicht was die Zahl der Teilnehmenden betrifft, aber was ihre Energie betrifft, ihre Argumente, ihre Überzeugungskraft, ihre Dringlichkeit. Die vielen bunten Transparente, die mitreissende Musik, tanzende und singende junge Menschen voller Lebenslust, das Auf- und Niederschwellen tausendstimmiger Parolen, dazwischen ein älterer Herr, der in seinem dunklen Anzug ein pensionierter Banker sein könnte, und eine weit über achtzigjährige Frau am Rollator, in eine Klimafahne gehüllt: Ein Herzschlag der Liebe zieht sich an diesem Freitag durch die Strassen Zürichs. Und es lässt auch die Menschen am Rande der Strassen nicht unberührt: Aus einer Bar sind ein paar Angestellte herausgekommen, mischen sich tanzend in den Demonstrationszug und verteilen Gratisgetränke. Die Menschen, die in den Cafés an der Sonne sitzen, verfolgen das Geschehen gebannt, schiessen Fotos und viele von ihnen haben ein wunderbares Lächeln im Gesicht, so etwas wie Sehnsucht, als wollten sie am liebsten alles stehen und liegen lassen und sich in den Demonstrationszug einreihen. Nur wenige scheinen gänzlich unberührt zu sein: Viele der Autofahrer und Autofahrerinnen, die mit grimmigem Gesicht in der Kolonne stehen, weil die Strassen für den Verkehr gesperrt sind, Geschäftsleute mit stechendem Schritt und grossen Aktenkoffern, Menschen auf der Shoppingtour, die zwischen dem einen und dem nächsten Geschäft, wo sie einkaufen, nur für ihre Handys Blicke übrig haben. Sie und wir – als wären es zwei gänzlich gegensätzliche Welten, die nichts miteinander zu tun haben. Doch was ist “normal”? Was ist “verrückt”? Wird vielleicht eine Zeit kommen, da sich alles ins Gegenteil verkehrt und das “Verrückte” normal sein wird und umgekehrt? In der Ferne kurven Polizeiautos nutzlos herum. Hier gibt es keine Gewalt, keine Auseinandersetzungen, nicht einmal irgendein böses Wort. Ich bin sicher: Käme es auch nur zur geringsten Tätlichkeit im Rahmen dieser Demonstration, so würden sich die bereitstehenden Kameraleute wie hungrige Wölfe darauf stürzen und es würde garantiert in der abendlichen Tagesschau, in den Tageszeitungen und auf den sozialen Medien darüber berichtet. So aber ist weder in der Tagesschau noch in den Tageszeitungen am nächsten Morgen auch nur ein einziges Wort über die Klimademonstration in Zürich zu erfahren, und erst Recht nicht über die an diesem gleichen Tag an 800 Orten weltweit durchgeführten Klimastreiks mit Hunderttausenden von Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Inzwischen ist der Zug entlang der Limmat unterwegs. Auf der erhöhten Terrasse eines Kirchenplatzes stehen wiederum dicht gedrängt viele Schaulustige, gestikulieren und fotografieren. Die letzten Sonnenstrahlen und lautes Glockengeläute, fast ein “heiliger” Moment, an dem die Welt für einen Moment stillzustehen scheint. Viele sagen, dies alles nütze sowieso nichts, der Klimawandel lasse sich nicht mehr aufhalten. Wer das sagt, soll mitmachen. Je mehr mitmachen, umso mehr nützt es. Wenn 2000 Menschen auf der Strasse sind, kann man leicht darüber hinweggehen. Wenn es 200’000 sind, wird es schon schwieriger. Wie ein Felsblock, der im Weg liegt. Wenn zwanzig Menschen daran ruckeln, bewegt er sich keinen Millimeter. Wenn fünfzig dazu kommen, wird er ein ganz klein wenig nachgeben. Wenn es hundert sind, kommt er ins Wanken. Und wenn es tausend sind, scheint er plötzlich federleicht zu sein und kann aus dem Weg geschafft werden und der Weg in jene neue Zeit des Friedens und der Liebe, von der wir alle träumen, wird frei. Zuhause angekommen, lese ich vom britischen Historiker Eric Hobsbawn folgende Worte: “Entweder hören wir mit der Ideologie des grenzenlosen Wachstums auf, oder es passiert eine schreckliche Katastrophe. Heute geht es um das Überleben der Menschheit.” Gut, war ich dabei…