Zur Vorgeschichte des Ukrainekonflikts gehört ganz wesentlich der „Euromaidan“, die sogenannte „Revolution der Würde“, zwischen November 2013 und Februar 2014. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch, dessen Vision eine blockfreie Ukraine als Bindeglied zwischen der EU und Russland war und der einen Beitritt der Ukraine zur NATO klar ablehnte, bereits seit drei Jahren im Amt. Auslöser der Maidanproteste bildete die überraschende Erklärung Janukowytschs Ende 2013, ein bereits geplantes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vermutlich auf Druck von Russland vorerst nicht unterzeichnen zu wollen. Sogleich kam es Massenprotesten, welche am 1. Dezember 2013 ihren Höhepunkt erreichten, nachdem einen Tag zuvor friedliche Studentenproteste durch Spezialeinheiten der ukrainischen Polizei mit Gewalt auseinandergetrieben worden waren. Die Demonstrantinnen und Demonstranten forderten die Amtsenthebung von Präsident Janukowytsch, vorzeitige Präsidentschaftswahlen, ein Ende der Korruption sowie die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Im Februar 2014 wurde eine Einigung erzielt, welche die Rückkehr zur bis September 2010 gültigen Verfassung vorsah und die faktische Absetzung Wiktor Janukowytschs beinhaltete, dieser tauchte ab und flüchtete nach Russland. Soweit die offizielle, „westliche“ Lesart der Ereignisse rund um den Maidan. Ihr gegenüber steht die von Russland verfochtene Behauptung, es habe sich beim „Maidan“ nicht um eine friedliche Protestbewegung gehandelt, sondern um einen von den USA unterstützten „Putsch“ gegen die rechtmässige Regierung Janukowytsch. Dass diese Behauptung wohl nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, zeigt ein Bericht der ARD vom 6. März 2014: Gemäss ARD hätten von Anfang an auf dem Maidan auch rechtsextreme Kräfte eine wichtige Rolle gespielt, zum Beispiel die ultranationalistische Partei Swoboda, neben Wladimir Klitschkos Udar und Julija Timoschenkos Vaterlandspartei. Zudem seien Klitschko und die Vaterlandspartei ein offizielles Bündnis mit Swoboda eingegangen, welche gute Beziehungen zur deutschen NDP gepflegt hätten. Auch seien neben Swoboda auf dem Maidan noch radikalere Kräfte aktiv gewesen, so zum Beispiel die „zu allem entschlossenen“ paramilitärisch organisierten Gruppen des „Rechten Sektors“. Diese hätten sich im November 2013 um den Neonazi Dmitrij Jarosch formiert. Auf ihrer Webseite hätten Mitglieder des „Rechten Sektors“ mit ihren angeblichen oder tatsächlichen Kampferfahrungen in Tschetschenien und im Kosovo geprahlt. „Für die Vertreibung des alten Regimes Ende Februar 2014“, so die ARD, „waren die auf den Barrikaden meist an vorderster Front kämpfenden Truppen des „Rechten Sektors“ mit entscheidend.“ Demzufolge hätte der „Rechte Sektor“ in seiner eigenen Propaganda diese Ereignisse auch als ihre „nationale Revolution“ bezeichnet. Die Mitglieder hätten auch die Rolle als „Selbstschutz des Maidan“ und als Sicherheits- und Ordnungskraft an Stelle der nicht mehr präsenten Polizei übernommen. Auch der Osteuropaexperte Alexander Ruhr sieht im „Rechten Sektor“ einen der wichtigsten Akteure des Maidan: „Der Rechte Sektor war aus meiner Sicht entscheidend für den Umsturz, weil er auch bereit war, in Kampfhandlungen mit der Polizei und den Sicherheitskräften einzutreten. Sie waren gut organisiert, sie hatten auch immer wieder einen Plan, wie sie angreifen und sich verteidigen konnten, so dass sie einen grossen Anteil am Erfolg des Maidan gehabt haben.“ Eine Gegendarstellung zur Theorie des Maidan als ein von rechtsextremen Gruppen und Organisationen angeführten Putschs liefert die „NZZ“ am 21. Februar 2019: Sie spricht im Zusammenhang mit dem Maidan von einer „immer autoritäreren Staatsmacht“ auf der einen Seite, einem „unerwarteten Aufbegehren der Jugend“ auf der anderen. Ab Januar 2014 hätten die „Selbstverteidigungskräfte“ begonnen, sich mit Waffen auszurüsten. Immerhin räumt die „NZZ“ ein, dass der Maidan „Nationalisten und andere Anhänger der rechtsgerichteten Partei Swoboda angezogen hätte, diese Kräfte aber in der Minderzahl gewesen seien, dennoch zu den „tragenden Elementen dieses Putschs hochstilisiert“ worden seien. Hier knüpfe die „russische Propaganda“ vom „faschistischen Putsch“ an, welche die Rolle der Tituschki, der Schlägertrupps auf der Seite von Janukowytsch, unerwähnt lasse. Am 18. Februar seien erstmals Demonstranten von Scharfschützen getroffen worden, welche auf hohen Gebäuden Stellung bezogen hätten. Es sei zu über hundert Toten gekommen, wobei die Täterschaft noch nicht aufgeklärt worden sei. Fest stehe nur, dass die Schüsse auch aus Gebäuden abgegeben worden seien, welche in der Hand der Aufständischen gewesen seien. Der Bericht der ARD vom 6. März 2014 und der Bericht der „NZZ“ vom 21. Februar 2019 zeigen, wie unterschiedlich das gleiche Ereignis gesehen und interpretiert werden kann. Würden wir russische Quellen heranziehen, sähe alles noch einmal ganz anders aus. War es also tatsächlich nur eine friedliche Studentenbewegung? Oder vielleicht doch ein von rechtsextremen Kräften angetriebener Regierungsputsch und damit ein weiterer möglicher Grund für von Russland vom Zaun gebrochenen Krieg gegen die Ukraine? Oder gar beides zugleich oder weder das eine noch das andere? Es sei jedem Leser und jeder Leserin überlassen, sich ihre eigene Meinung zu bilden…