Die gemeinsame Wurzel von Armut, Hunger, Ausbeutung, Pandemie, Klimawandel und Krieg

 

Armut und Hunger weltweit. Die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Der Klimawandel. Die Coronapandemie. Der Krieg in der Ukraine. Auf den ersten Blick lauter Zufälligkeiten, die nichts miteinander zu tun haben. Tatsächlich aber haben alle diese Bedrohungen eine gemeinsame Ursache: ein auf endloses Wachstum, auf Profitgier und Gewinnsteigerung fixiertes Wirtschaftssystem, die schrankenlose Ausbeutung von Rohstoffen und natürlichen Ressourcen, die unaufhörliche Umverteilung von Gütern und Reichtümern von den Arbeitenden zu den Besitzenden. Von welcher Seite wir auch das Ganze betrachten, die Wurzel aller Übel ist der Kapitalismus… 

Erstens: Armut und Hunger weltweit. Wenn heute eine Milliarde Menschen weltweit nicht genug zu essen haben, so ist das eine Folge von 500 Jahren kolonialistischer Ausbeutung der armen Agrarländer durch die reichen Industrieländer, eine Ausbeutung, die bis heute unvermindert weitergeht und dazu führt, dass weltweit nicht nur auf der einen Seite die Armut, sondern gleichzeitig auch auf der anderen Seite der Reichtum immer weiter in die Höhe wächst, weil das kapitalistische Weltwirtschaftssystem darauf beruht, dass die Güter nicht dorthin fliessen, wo die Menschen sie brauchen, sondern dorthin, wo genug Geld vorhanden ist, um sie kaufen zu können. Doch nicht nur zwischen dem nördlichen und den südlichen Ländern wächst die soziale Kluft unaufhörlich, sondern innerhalb jedes einzelnen Landes zwischen den Armen und den Reichen – eine soziale Kluft, die sich wechselseitig bedingt, ist doch der Reichtum der einen eine unmittelbare Folge der Armut der anderen und umgekehrt. 

Zweitens: Die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Das kapitalistische Grundprinzip ist die stetige Gewinnsteigerung. Die Arbeitskraft ist dazu da, innerhalb der kürzest möglichen Zeitspanne zu kleinstmöglichem Lohn die grösstmögliche Arbeitsleistung zu erbringen. Weil sich aber im kapitalistischen Wirtschaftssystem die Unternehmen in einem permanenten gegenseitigen Konkurrenzkampf befinden, bedeutet dies, dass der Druck auf die arbeitenden Menschen, immer mehr und immer schneller zu produzieren, laufend zunimmt. So wie die Rohstoffe und die natürlichen Ressourcen, so wird auch der arbeitende Mensch der grösstmöglichen Profitmaximierung zuliebe ausgebeutet. Am härtesten betrifft dies wiederum die Menschen in den armen Ländern, wo keine Arbeitsgesetze und gewerkschaftliche Organisationen vorhanden sind, um dem menschenfeindlichen Treiben ein Ende zu setzen. 

Drittens: Der Klimawandel. Wieder ist das kapitalistische Prinzip des endlosen Wachstums und der endlosen Profitmaximierung die Hauptursache dafür, dass die natürlichen Lebensgrundlagen, die Biodiversität und die Atmosphäre so sehr belastet und zerstört werden, dass bereits heute 3,5 Milliarden Menschen davon existenziell bedroht sind und das Überleben der Menschheit auf diesem Planeten in 20 oder 50 Jahren mehr und mehr in Frage gestellt ist. 

Viertens: Die Coronapandemie. Wieder ist kapitalistische Profitgier eine der wesentlichen Ursachen: “In den letzten 20 Jahren”, so Gertraud Schüpbach, Epidemiologin an der Universität Bern, “hat der Handel mit Tieren und Wildtieren stark zugenommen und der Mensch ist immer weiter in unberührte Lebensräume der Natur vorgedrungen, so dass es zu immer häufigeren Kontakten zwischen Mensch, exotischen Tieren und Viren kommt.” Damit nicht genug: Bei der Weiterverbreitung des Virus spielte der die ganze Welt wie ein Spinnennetz umfassende Flugverkehr eine wichtige Rolle, eine Reiseform, die nur deshalb möglich ist, weil es genug Menschen gibt, die es sich aufgrund der kapitalistischen Umverteilung von den Armen zu den Reichen leisten können, per Flugzeug zu reisen. 

Fünftens: Der Krieg in der Ukraine. So wie das kapitalistische Wirtschaftssystem auf Wachstum und Profitmaximierung ausgerichtet ist, so eng ist damit auch die machtpolitische und geografische Expansion verbunden. Kommen sich dabei zwei Kontrahenten ins Gehege, wie dies heute zwischen der Ukraine und dem Westblock auf der einen Seite, Russland auf der anderen Seite der Fall ist, kommt es zum Krieg. “Kapitalismus und Krieg”, schreibt die deutsche Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht, “sind zwei Seiten einer Medaille. Krieg ist nichts anderes als die Fortsetzung der Profitmaximierung mit militärischen Mitteln.” Ähnlich formuliert es der französische Sozialist Jean Jaurès: “Der Kapitalismus birgt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.” Und Rosa Luxemburg schrieb: “Solange das Kapital herrscht, wird der Krieg nicht aufhören.” Selbst Papst Franziskus sieht es nicht anders: “Der Kapitalismus braucht den Krieg.” 

Armut und Hunger. Die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Der Klimawandel. Die Coronapandemie. Der Krieg in der Ukraine. Alles hängt mit allem zusammen und hat seine Wurzeln in der kapitalistischen Ideologie von Profitmaximierung, Wachstum und Expansion. Eine Hydra, bei der, wenn wir nur einen Arm abschlagen, sogleich zwei neue nachwachsen. Es geht um das Ganze. Es geht um das, was die Klimabewegung den “System Change” nennt, nicht mehr und nicht weniger als eine neue Weltordnung, deren Verwirklichung umso dringlicher erscheint, je grösser die Bedrohungen sind, die wir gegenwärtig erleben und die möglicherweise noch auf uns zukommen werden. “Der Kapitalismus”, sagt der französische Philosoph Lucien Sève, “wird nicht von selbst zusammenbrechen. Er hat noch die Kraft, uns alle mit in den Abgrund zu reissen, wie der lebensmüde Pilot seine Passagiere. Wir müssen das Cockpit stürmen, um gemeinsam den Steuerknüppel herumzureissen.”