Ukraine: Es gibt keine vernünftige Alternative zu einem umfassenden Friedensvertrag

 

US-Aussenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Aston haben am 24. April 2022 den ukrainischen Präsidenten Wolodomir Selenski in Kiew getroffen und bei dieser Gelegenheit bekräftigt, die Ukraine weiterhin mit schweren Waffen zu beliefern. “Wir wollen”, sagte Aston, “Russland derart geschwächt sehen, dass es nicht zu Dingen wie der Invasion der Ukraine in der Lage ist.”  Psychologie scheint Aston ein Fremdwort zu sein. Sonst wüsste er nämlich, dass der Widersacher, den man mit aller Gewalt klein zu machen versucht, nur umso aggressiver und gewalttätiger wird. So gesehen ist der Angriff Russlands auf die Ukraine nur das letzte Glied einer langen Kette von Demütigungen: Es begann mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und ging weiter mit der schrittweisen Erweiterung der NATO bis an die Grenze Russlands, und dies, obwohl Putin 2001, kurz nach seinem Amtsantritt, seine Hand nach dem Westen ausgestreckt und eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur vorgeschlagen hatte. Auch die Ukraine, mit der die NATO bereits 1997 einen militärischen Partnerschaftsvertrag abgeschlossen hatte, sollte nach dem Willen der westlichen Machthaber vollwertiges NATO-Mitglied werden. Man stelle sich einmal vor, wie die USA reagieren würden, wenn Mexiko und Kanada ein Militärbündnis mit Russland eingehen würden! Dass ein Beitritt der Ukraine zur NATO weitgehende und gefährliche Folgen haben könnte, sah schon der ehemalige US-Aussenminister Henry Kissinger voraus und er forderte deshalb, dass die Ukraine weder zum “Vorpfosten” der einen, noch der anderen Seite werden, sondern eine “Brücke zwischen beiden Seiten” sein sollte. Zur Geschichte der Demütigung Russlands gehört auch der 1999 von den USA angeführte Krieg gegen Serbien, in klarem Widerspruch zum internationalen Völkerrecht und entgegen dem heftigen Widerstand Russlands, dem schliesslich nichts anderes übrig blieb, als diesen Gewaltakt des Westens zähneknirschend hinzunehmen. Man sei, so Catherine Belton, Korrespondentin der “Financial Times”, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion so euphorisch gewesen, dass man geglaubt habe, den Russen bliebe gar nichts anderes übrig, als sich anzupassen und in die vom Westen angeführte Welt zu integrieren. Wenn nun westliche Politiker eine umfassende Schwächung Russlands oder gar, wie das auch schon vorgekommen ist, einen “wirtschaftlichen Zusammenbruch Russlands” zu fordern, dann giessen sie Öl in jenes Feuer, das sie angeblich löschen wollen. Denn immer mehr Demütigungen führen zu immer mehr Zorn und Gewalt. Das müssten wir eigentlich spätestens seit dem Aufkommen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs zur Genüge wissen, waren es doch die mannigfachen politischen und wirtschaftlichen Demütigungen, die einseitige Schuldzuweisung am Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die exorbitanten Reparationszahlungen, die Deutschland an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu zahlen hatte, welche den Aufstieg Hitlers und den späteren Krieg überhaupt erst möglich machten. Besonders brisant ist übrigens, dass mit Lloyd Aston ausgerechnet ein Politiker die Zerschlagung der russischen Militärmacht fordert, dessen eigene Regierung 2003 einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak vom Zaun riss, der über einer halben Million Zivilpersonen das Leben kostete. Da hätte man wohl auch allen Grund gehabt, die Zerschlagung der US-Armee zu fordern, damit sich solches Unheil nie mehr wiederholen sollte. Heisst das alles nun, dass man Putin gewähren lassen und ihm die ganze Ukraine kampflos überlassen sollte? Mitnichten. Aber auch das Gegenteil, Russland eine vernichtende militärische Niederlage zuzufügen, wäre keine gute Lösung, da sie die Demütigungen nur noch weiter verschärfen und der verwundete Bär dann an einem anderen Ort umso heftiger zuschlagen würde. Es gibt tatsächlich keine vernünftige Alternative zu einer Friedenslösung, zu der beide Seiten ja sagen könnten, die Ukraine als “Brücke” zwischen Ost und West – was für eine bestechende Idee, ein Schritt in eine neue Zeit, ohne Schmach, ohne Demütigung, ohne leidvolle Spuren über Generationen hinweg. “Deeskalieren, vermitteln”, schreibt Gabriele Krone-Schmalz in ihrem Buch “Eiszeit”, “sich in die Lage anderer versetzen, um deren Handeln besser begreifen und die Folgen des eigenen Handelns besser einschätzen zu können – das hat nichts mit Schwäche zu tun, sondern mit politischer Weitsicht, mit menschlicher Grösse und mit genau den christlichen Werten, die so viele im Munde führen.”