“Der Tag wird kommen, an dem das Töten eines Tiers genauso als Verbrechen betrachtet wird wie das Töten eines Menschen.”

 

Genügen die bestehenden Vorschriften oder braucht es strengere Auflagen und Kontrollen, um eine artgerechte Haltung von Nutztieren wirksam durchzusetzen? Dies das Thema der Diskussionssendung “Arena” vom 3. Juni 2022 am Schweizer Fernsehen zur Volksinitiative gegen die Massentierhaltung, über welche die Schweizer Bevölkerung am 25. September 2022 abstimmen wird. Wie viele Hühner sollen maximal in einem Stall gehalten werden können, wie häufig sollen sie freien Auslauf bekommen, wie viel Fläche soll ein Schwein zur Verfügung haben? Fragen über Fragen im Spannungsfeld zwischen Tierwohl und wirtschaftlicher Profitabilität. Doch genau da, wo die Sendung endet, müsste sie doch eigentlich erst so richtig beginnen…

Bei der Frage nämlich, inwieweit der Konsum von Fleisch und Fleischprodukten in einer Welt immer knapper werdender Ressourcen überhaupt noch eine Zukunft haben kann oder ob es nicht an der Zeit wäre, vollumfänglich auf eine pflanzliche Ernährungsweise umzustellen. Tatsache ist, dass, wie der ETH-Agronom Eric Meili berechnet hat, ein Drittel des weltweiten Ackerlands heute für die Tierhaltung und die Tierfutterproduktion verwendet wird. Würde man flächendeckend auf pflanzliche Nahrungsmittelproduktion umstellen, könnte man, so Meili, selbst mit durchgehend biologischem Anbau locker zehn Milliarden Menschen ernähren. Wenn heute weltweit rund eine Milliarde Menschen zu wenig zu essen haben und jeden Tag rund 15’000 Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs sterben, weil es ihnen an der nötigen Nahrung fehlt, dann ist dies eine ganze direkte Folge des gigantischen Fleischkonsums, an dem in erster Linie die reichen Länder des Nordens beteiligt sind – in Afrika wird pro Kopf der Bevölkerung rund sechs Mal weniger Fleisch gegessen als beispielsweise in den USA oder Australien. “Das Vieh der Reichen frisst das Brot der Armen” – mit diesem Slogan machten schon vor 50 Jahren Entwicklungsorganisationen auf die haarsträubenden Zusammenhänge zwischen dem Überfluss und dem Luxus auf der einen Seite und dem Mangel am Allernotwendigsten auf der anderen Seite aufmerksam. Und seither ist es nur noch schlimmer geworden, hat sich doch in diesen fünf Jahrzehnten die globale Fleischproduktion nahezu vervierfacht! 

Eine weitere höchst problematische Begleiterscheinung der Fleischproduktion ist der damit verbundene massive Wasserverbrauch. So sind, um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren, mehr als 15’000 Liter Wasser notwendig – die Folge sind ausgetrocknete Flüsse und Feuchtgebiete, sinkende Grundwasserspiegel und versalzene Böden. Doch obwohl dies eigentlich schon genug Gründe sein müssten, gibt es noch ein weiteres, mindestens so gewichtiges Argument für eine weltweite Umstellung auf eine rein pflanzliche Ernährungsweise. Jahr für Jahr werden weltweit rund 70 Milliarden so genannte “Nutztiere” getötet, die einzig und allein für den Zweck gezüchtet wurden, um dem Menschen als Nahrung zu dienen. 70 Milliarden Lebewesen, von denen jedes einzelne eine eigene Seele hat, eigenes Empfinden, eigene Ängste, eigene Lebensfreude, eigene Träume. Im Grunde, man kann es nicht anders sagen, ein Verbrechen, das nur deshalb von Generation zu Generation nahtlos weitergeführt werden kann, weil es in unseren Köpfen so etwas gibt wie eine unsichtbare Schranke. Auf der einen Seite dieser Schranke sind die lieben Haustiere wie Hund, Katze und Hamster, die liebevoll gehegt, gepflegt und gehätschelt werden wie kleine Kinder und bei denen sich kein Mensch vorstellen könnte, ihrem Leben eines Tages gewaltsam ein Ende zu setzen. Auf der anderen Seite der Schranke die sogenannten “Nutztiere”, deren einziger Zweck darin besteht, eines Tages als Stück Fleisch auf dem Teller eines Menschen zu landen. Nur der Akt einer totalen Entfremdung, eines totalen Bruchs zwischen dem ursprünglichen Lebewesen und dem hermetisch abgepackten Produkt auf dem Gestell im Supermarkt lässt uns diesen Widerspruch aushalten. “Wenn der Mensch”, sagte der deutsche Dichter Christian Morgenstern, “die Tiere, derer er sich als Nahrung bedient, selber töten müsste, würde die Zahl der Pflanzenesser ins Unermessliche steigen.” Aber es ist nicht nur diese Spaltung zwischen Lebewesen und Fertigprodukt, sondern auch die Macht der Gewohnheit, die dazu führt, dass sich so viele Menschen ein Leben ohne Fleischkonsum gar nicht wirklich vorstellen können: Was immer schon so war und was so viele andere auch tun, kann ja nicht wirklich etwas Schlechtes sein: “Weil die Mehrheit noch am Fleischgenuss hängt”, so der russische Schriftsteller Leo Tolstoi, “halten ihn die Menschen für gerechtfertigt.” 

Noch bilden Vegetarier und Veganerinnen eine Minderheit. Noch wird nicht selten der Mann, der statt einer Wurst oder eines Steaks ein Stück Käse auf den Grill legt, insgeheim belächelt oder bemitleidet. Noch ist mancherorts der Sonntagsbraten fast so heilig wie früher der Kirchenbesuch. Doch jede Veränderung beginnt mit einer Minderheit, mit einer neuen Idee, die, wie der Philosoph Arthur Schopenhauer dereinst sagte, “zuerst einmal belächelt und dann bekämpft wird – bis sie nach längerer Zeit selbstverständlich geworden ist.” Dies auf dem Weg in eine Zukunft, die noch vor uns liegt, die aber Leonardo da Vinci, der als eines der grössten Universalgenies in die Geschichte eingegangen ist, schon vor über 500 Jahren prophetisch vorausgesehen hatte, als er sagte: “Der Tag wird kommen, an dem das Töten eines Tiers genauso als Verbrechen betrachtet wird wie das Töten eines Menschen.” Keine Frage, der Tag wird kommen, auch und gerade wenn die Widerstände heute noch schier unüberwindlich scheinen. Denn die Frage, wie sich die Menschheit in Zukunft ernähren wird, ist weit mehr als die Frage, ob man sich diesen oder jenen Luxus noch leisten kann oder nicht. Es geht um nichts weniger als das gemeinsame Überleben: “Nichts”, sagte Albert Einstein, “wird die Chance auf ein Überleben auf der Erde so steigern, wie der Schritt zu einer vegetarischen Ernährung.”