Ein Plädoyer für den Kommunismus

 

Wer heute noch das Wort Kommunismus in den Mund nimmt oder sich gar als Sympathisant oder als Anhängerin des Kommunismus bekennt, wird im besten Fall belächelt, im schlechtesten mit allen Mitteln verbaler Gewalt verunglimpft oder bekämpft. Tatsächlich aber ist der Kommunismus die vielleicht letzte Hoffnung der Menschheit. Um es vorwegzunehmen: Ich meine nicht jenen Kommunismus, wie er beispielsweise von der Sowjetunion oder von China praktiziert wurde, autoritären Machtsystemen, in denen sich bloss neue Eliten mit zahlreichen Privilegien herausbildeten und Andersdenkende unterdrückt und verfolgt wurden. Ich meine den Kommunismus als Uridee von der sozialen Gleichheit und dem Grundprinzip, dass alles allen gehören solle, jeder und jede zum Ganzen sein Bestmögliches beitrage und umgekehrt vom Ganzen das bekomme, was für ein gutes Leben nötig sei. Führen wir uns die gegenwärtigen globalen Zerstörungen vor Augen, die alle eine Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems sind – von der unaufhörlich sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich über den Klimawandel bis zur Gefahr eines dritten, möglicherweise atomaren Weltkriegs -, dann kann man sich eigentlich nur wundern, dass nicht schon längst dem Kapitalismus in Form einer weltweiten Gegenbewegung ein Ende gesetzt worden ist, sondern dass er sich, im Gegenteil, mittlerweile als alleinherrschendes Gesellschaftsmodell über die gesamte Erdoberfläche hinweg ausgebreitet hat. Dass der Kapitalismus nicht schon längst untergegangen ist, kann man sich wohl nur damit erklären, dass die Reichen weltweit sämtliche Instrumente zu ihrer Machterhaltung – von der Politik, dem Geld und der Wirtschaft über die Medien bis hin zur Justiz – in ihren Händen haben und die Armen immer mehr und mehr denn je eingebläut bekommen, sie könnten, wenn sie sich nur genug anstrengten oder ein bisschen Glück hätten, selber auch einmal zu den Reichen gehören. Im Kommunismus gäbe es diese Unterschiede zwischen “oben” und “unten”, zwischen Arm und Reich, zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten nicht mehr. Alles würde allen gehören. Alles wäre auf alle gerecht verteilt. Auch Lohnunterschiede würden der Vergangenheit angehören, alle gelangten in den Genuss eines Einheitslohns. Alles mit allen zu teilen, bedeutet auch: von der Natur nur soviel nehmen, wie wieder nachzuwachsen vermag, denn es muss ja für alle reichen, nicht nur heute und morgen, sondern auch übermorgen und noch in 50 oder 100 Jahren. Niemand würde hungern, aber auch niemand würde drei Mal so viel essen, wie sein Körper eigentlich bräuchte, oder würde vom Essen, das er gekauft hat, die Hälfte wieder fortwerfen. “Die Erde”, sagte Mahatma Gandhi, “hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.” Das gilt auch heute noch ebenso wie zur Zeit Gandhis. Und weil das Prinzip der nachhaltigen Grundversorgung für alle an oberster Stelle stehen würde, so würde dies zwangsläufig auch bedeuten, dass die Lebensweise der Menschen und die Produktion von Gütern jenen Rahmen, der das Klima, die Natur und die Tier- und Pflanzenwelt zu gefährden droht, nicht überschreiten dürften. Gegnerinnen und Gegner des Kommunismus werfen diesem vor, er führe zur Missachtung und zur Unterdrückung der persönlichen Freiheit des Individuums. Das Gegenteil ist der Fall. Was im Kapitalismus unter “Freiheit” verstanden wird, sind in aller Regel nur Privilegien, die sich eine Minderheit auf Kosten einer Mehrheit leisten kann. Diese “Freiheit” verschafft einer Minderheit das Recht, andere für ihre Zwecke auszubeuten und zu missbrauchen. In einem egalitären Gesellschaftssystem dagegen wäre auch die Freiheit, genauso wie alle materiellen Güter, auf alle Menschen gleichmässig verteilt. Freiheit kann erst dann als echte Freiheit bezeichnet werden, wenn sie sämtlichen Angehörigen einer Gemeinschaft gleichermassen ermöglicht wird. Deshalb ist soziale Gerechtigkeit nicht ein Gegensatz zur Freiheit, sondern, im Gegenteil, die Voraussetzung dafür. Das hat auch nichts mit Gleichmacherei zu tun. Erst wenn die materiellen Bedürfnisse gesichert sind, kann ich es mir leisten, mich persönlich und individuell zu entfalten – wer täglich um seine Existenz kämpfen muss oder von Armut betroffen ist, hat diese Möglichkeit nicht. Wenn es etwas gibt, was die Gleichmacherei befördert, dann ist es der Kapitalismus, der die Menschen in einem unaufhörlichen Kreislauf von Arbeit und Konsum gefangen hält und jeden, der aus diesem Hamsterrad auszubrechen versucht, mit gesellschaftlicher oder materieller Stigmatisierung bestraft. Ähnliches lässt sich von den Arbeitsverhältnissen sagen. Gibt es im Kapitalismus die Klasse der Besitzenden und die Klasse der Besitzlosen, so wäre diese Grenze im Kommunismus, wo alles allen gehört, aufgehoben. Es gäbe keine “Arbeitgeber” und “Arbeitnehmer” mehr, jeder “Arbeitnehmer”, jede “Arbeitnehmerin” wäre ihr eigener “Arbeitgeber”, ihre eigene “Arbeitgeberin” und umgekehrt. Alle Produktionsmittel, alle Banken, sämtliche Dienstleistungsunternehmen, auch das Wohneigentum, wären verstaatlicht – wobei freilich zu beachten wäre, dass nicht eine neue Klasse von staatlichen Funktionären an die Stelle der früheren kapitalistischen Besitzerkaste treten dürfte. Basisdemokratie, klassenlose Gesellschaft und soziale Gerechtigkeit sind unabdingbar miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. An die Stelle der “freien” Marktwirtschaft des Kapitalismus würde eine Art Planwirtschaft treten, welche regeln würde, was, wo und wie produziert werden müsste, um die Grundversorgung aller Menschen zu sichern und stets die Grenzen der Belastbarkeit natürlicher Ressourcen zu gewährleisten. Zu Ende gedacht, würde der Kommunismus schliesslich auch zu einem Ende von Krieg und militärischer Konfliktlösung führen. Denn wenn alles unter alle gerecht verteilt wäre, dann gäbe es für niemanden mehr einen Grund, gegen ein anderes Land einen Krieg anzuzetteln, denn was könnte er dabei schon gewinnen. Das Grundprinzip des Kommunismus, wonach die Angehörigen jeder kleineren oder grösseren Gemeinschaft nicht primär in einem gegenseitigen Konkurrenzkampf stehen, sondern in einem solidarischen Verhältnis gegenseitigen Gebens und Nehmens, würde nicht nur für jeden einzelnen Staat, sondern auch für die Beziehungen der Staaten untereinander gelten. So würde der Kommunismus nicht nur den Krieg zum Verschwinden bringen, sondern auch die Fluchtbewegungen aus den heute noch armen Länder des Südens in die heute noch reichen Länder des Nordens. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich der Kommunismus auf allen Ebenen, im Grossen wie im Kleinen, am Wohlergehen der Menschen orientieren würde, während im Kapitalismus an oberster Stelle das Wohl des materiellen Profits steht. Bleibt die Frage, auf welchem Wege sich eine globale kommunistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verwirklichen bzw. auf welchem Wege der heute global herrschende Kapitalismus überwunden werden könnte. Karl Marx und andere Theoretiker des Kommunismus sprachen von “Klassenkampf”: Die Arbeiterklasse müsste die bürgerlich-kapitalistischen Gegenkräfte von der Macht verdrängen, um eine kommunistische Ordnung durchzusetzen. Ich glaube nicht, dass dies ein guter Weg wäre. Der schweizerische Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte einmal: “Was alle angeht, können nur alle lösen.” Das sehe ich genau gleich. Es darf nicht darum gehen, eine “Klasse” durch eine andere “Klasse” zu ersetzen. Zu gross ist die Gefahr, dass die bestehenden Machtverhältnisse bestehen bleiben, nur eben unter umgekehrten Vorzeichen. Nein, die Klassengesellschaft muss als Ganzes überwunden werden, und dazu braucht es alle, auch die, welche heute noch zu den Privilegierten gehören. Nicht mit Gewalt soll eine neue Gesellschaftsordnung aufgebaut werden, sondern sanft, geduldig, durch Einsicht und durch Vernunft. Vielleicht bin ich da zu optimistisch, aber ich sehe keinen anderen Weg. Das immense Potenzial vor allem an jungen Menschen und an Frauen, die sich quer über den Globus immer stärker in die Politik einmischen, gibt mir eine Hoffnung, die täglich stärker wird. Gewiss, es ist nicht einfach, ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das uns seit 500 Jahren unaufhörlich in die Köpfe eingehämmert worden ist, radikal zu hinterfragen, geschweige denn, uns ein von Grund auf anderes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, das weit und breit noch nicht existiert, vorstellen zu können. Doch nur Phantasten können noch daran glauben, dass der Kapitalismus eine Zukunft hat. Seine Zeit ist abgelaufen. Und in dieser Situation gibt es tatsächlich nur noch zwei Möglichkeiten – wie auch der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King schon vor über 50 Jahren prophezeite: “Entweder werden wir gemeinsam als Brüder und Schwestern überleben, oder aber als Narren miteinander untergehen.”