Damit auch unsere Kinder und Kindeskinder noch ihre Sommerferien geniessen können…

 

Sommerferienbilder:
16 Kilometer Stau am Gotthardtunnel, 80‘000 dicht aneinandergedrängte
Passagierinnen und Passagiere um Flughafen Kloten, nicht enden wollende
Kolonnen von Motorrädern, die über die Alpenpässe donnern, die einen vom Süden
in den Norden, die anderen vom Norden in den Süden. Und gleichzeitig, ohne
Unterlass, Schreckensmeldungen am Radio, am Fernsehen, im Internet: Der
Ukrainekrieg geht mit unverminderter Härte weiter, eine Friedenslösung liegt in
fernerer Zukunft denn je, die Gefahr einer Ausweitung des Kriegs auf ganz
Europa ist längst nicht gebannt, selbst ein allesvernichtender Atomkrieg lässt
sich nicht gänzlich ausschliessen, als Folge davon eine gesamteuropäische
Energie- und Stromknappheit mit unabsehbaren Folgen für die Wirtschaft und für
das Alltagsleben von uns allen, gleichzeitig die Angst vor einer neuen
Coronawelle im Herbst und im Winter, das mögliche Auftreten neuer,
gefährlicherer Virenvarianten und, wie wenn das alles nicht schon genug wäre:
der Klimawandel, schmelzende Gletscher, Wasserknappheit, Hitzeperioden,
Waldbrände, steigende Meeresspiegel, existenzielle Bedrohungen für Milliarden
von Menschen schon in naher Zukunft, Hungersnöte in vielen südlichen Ländern,
von denen Hunderte von Millionen Menschen betroffen sind. Was haben boomende
Reiselust, ausschweifende Partys und Luxusvergnügungen aller Art mit diesen
Schreckensmeldungen zu tun? Ich sehe da einen engen Zusammenhang, ein sehr
verständliches und nachvollziehbares Verhalten: Je düsterer die Zukunft
aussieht, umso mehr will ich den jetzigen Zeitpunkt noch geniessen, so ganz
nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“. Doch so verständlich diese Einstellung
auch ist, so gefährlich wäre es, uns einzig und allein auf den jetzigen
Zeitpunkt zu beschränken, diesen zu geniessen und sich gleichzeitig damit
abzufinden, dass eine „Sintflut“ früher oder später ohnehin über uns
hereinbrechen wird und wir sowieso nichts dagegen unternehmen können.
Tatsächlich nämlich ist das Gegenteil der Fall: So wie letztlich alle
Zerstörungen und Fehlentwicklungen, vor deren Folgen wir heute stehen, von
Menschen verursacht worden sind, so haben es wiederum auch die Menschen in der
Hand, die bestehenden Verhältnisse in einer Art und Weise umzugestalten, dass
eben nicht die „Sintflut“ über uns hereinbrechen wird, sondern, im Gegenteil,
ein neues Zeitalter von Frieden und Gerechtigkeit anbrechen kann. Dass auf
diesem Wege bisher noch kein „Dammbruch“ stattgefunden hat, sondern erst
einzelne zaghafte Schritte, hat wohl damit zu tun, dass die bestehenden
Verhältnisse in einer Art und Weise hingenommen werden, als gäbe es keine
Alternative dazu. „Es ist einfacher geworden, sich das Ende der Welt
vorzustellen“, sagte der US-amerikanische Literaturkritiker Frederic Jameson,
„als das Ende des Kapitalismus.“ Es fehlt offensichtlich ganz wesentlich an
einer kritischen Analyse des bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftssystems.
Dieses kann nämlich nur dann überwunden werden, wenn seine Mechanismen und
Wirkungsweisen aufgedeckt werden, um sich sodann andere, bessere Mechanismen
und Wirkungsweisen vorstellen zu können. Es geht, einfach gesagt, um die
Überwindung des Kapitalismus. „Der Kapitalismus“, sagte der Philosoph Lucien
Sève, „wird nicht von selbst zusammenbrechen, er hat noch die Kraft, uns alle
mit in den Tod zu reissen, wie der lebensmüde Flugzeugpilot seine Passagiere.
Wir müssen das Cockpit stürmen, um gemeinsam den Steuerknüppel herumzureissen.“
Unglaublich, aber wahr: Jeder Mensch verfügt über einen riesigen Schatz an
Wissen, Erfahrungen und Fertigkeiten. Fragt man die Menschen aber, was der
Kapitalismus sei und wie er funktioniere, dann zucken sie bloss mit den
Schultern und dies, obwohl es sich beim Kapitalismus doch um das Wirtschafts-
und Gesellschaftssystem handelt, in dem sie alle leben und das unser tägliches
Handeln und unseren Alltag tiefgreifender prägt und beeinflusst als alles
andere. Es ist, als lebten wir in einem Wald, den wir vor lauter Bäumen nicht
mehr sehen. Deshalb sehen wir auch nicht, dass all das, was uns an so
zahlreichen Schreckensmeldungen entgegenschlägt, einen logischen Zusammenhang
hat, eben den Kapitalismus. Zum Ukrainekrieg: Es handelt sich letztlich um eine
Auseinandersetzung zwischen den USA auf der einen, Russland auf der anderen
Seite. Beide sind kapitalistische Mächte und beide sind getrieben von
imperialistischem Grossmachtdenken. Kapitalismus, Imperialismus,
Grossmachtdenken, Kampf um Rohstoff und Einflusssphären sind immer wieder
Ursachen kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Mächten –
deshalb würde eine Überwindung des Kapitalismus zwangsläufig auch zu einer
Überwindung des Kriegs als Mittel zur Lösung zwischenstaatlicher Konflikte
führen. Zur Coronapandemie: Auch sie ist eine Folge kapitalistischen
Expansionsdrangs, indem der Mensch immer weiter in bisher unberührte
Lebensgebiete von Wildtieren eindringt und somit die Gefahr von Ansteckungen
durch Viren stetig zunimmt. Zum Hunger in der Welt: Auch dies eine Folge des
kapitalistischen Wirtschaftssystems. Es wäre nämlich weltweit genug Nahrung für
alle Menschen vorhanden, aber im Kapitalismus fliessen die Güter nicht dorthin,
wo die Menschen sie brauchen, sondern dorthin, wo genug Geld ist, um sie kaufen
zu können. Schliesslich zum Klimawandel: Auch dieser ist eine ganz direkte und
logische Folge der kapitalistischen Wachstumsideologie, wonach die Wirtschaft,
will sie eine Zukunft haben, unaufhörlich wachsen müsse, was in einer Welt
begrenzter Ressourcen schlicht und einfach gar nicht möglich ist. Es geht heute
nicht mehr nur noch darum, gegen den einen oder anderen Missstand, unabhängig
voneinander, anzukämpfen. Es geht um das Ganze. Wir brauchen eine von Grund auf
neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die nicht mehr auf Expansion,
Ausbeutung, Profitmaximierung, endlosem Wachstum und Krieg beruht, sondern auf
Gleichberechtigung, sozialer Gerechtigkeit, Frieden und einem guten Leben für
alle. Lebensgenuss, Feiern, Reisen, Partys, Vergnügungen und Lebensfreude – das
alles ist gut und schön, aber nur, wenn wir gleichzeitig alle unsere Kraft und
Energie darauf setzen, eine Welt aufzubauen, in der nicht früher oder später eine
Sintflut über uns hereinbrechen wird, sondern eine Welt, in der auch unsere
Kinder und Kindeskinder noch ein gutes Leben haben, viele, viele Feste und
Partys feiern und viele, viele schöne Ferienreisen unternehmen können…