Jetzt, wo die Tage immer heisser werden, schlägt auch der Kapitalismus wieder mit voller Wucht zu…

 

Jetzt, wo die Tage immer heisser werden, schlägt auch der Kapitalismus wieder mit voller Wucht zu. Während gut verdienende Verwaltungsangestellte, Firmenchefs und IT-Spezialistinnen ihre Arbeit in vollklimatisierten Büros verrichten, sind Bauarbeiter, Landarbeiterinnen, Fassadenreiniger, Gärtnerinnen, Solarmonteure, Strassenarbeiter, Dachdeckerinnen und Geleisearbeiter, von denen die meisten mit eher kärglichen Löhnen Vorlieb nehmen müssen, schutzlos der knallenden Sonne ausgesetzt und dies, wie wenn das nicht schon genug wäre, bis zu neun oder gar zehn Stunden pro Tag, weil, wie die Arbeitgeberseite es begründet, der Termindruck geringere Arbeitszeiten nicht zulasse. Während auch der Koch im Speiserestaurant bei 50 Grad mit täglichen Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden rechnen muss, sitzen seine Gäste im schattigen Garten des Restaurants und geniessen das kühle Bier und die edlen Speisen. Und während gutverdienende Teilzeitangestellte es sich leisten können, schon um 17 Uhr das Büro zu verlassen, um sich ein erfrischendes Bad im städtischen Freibad zu genehmigen, haben die Arbeiter auf dem Bau zur gleichen Zeit immer noch zwei Stunden Schufterei vor sich, obwohl nicht nur die Hitze, sondern auch die Anstrengung der schweren körperlichen Arbeit tief in ihren Knochen steckt. Kapitalismus pur. Klassengesellschaft in Reinkultur. Was vorher schon krass war, erscheint jetzt, infolge der unbarmherzigen Hitze, in einem noch viel grelleren Licht. Da mag es wie ein schlechter Scherz klingen, wenn die Landesregierung, wie soeben in der Tagesschau berichtet wurde, im Hinblick auf den morgigen Rekordhitzetag mit zu erwartenden 37 Grad die Empfehlung herausgegeben hat, “sich vor direkter Sonneneinstrahlung zu schützen und Aktivitäten im Freien auf die Morgen- und Abendstunden zu verlegen.” Doch es ist nicht nur die Arbeit. Der Kapitalismus kennt keine Grenze. Er zieht sich durch alles hindurch, durch Arbeit und Freizeit, durch das öffentliche und das private Leben, durch alles, bis in den Schlaf. Der Hitze im Tal entfliehen durch eine Bergfahrt mit der Sesselbahn in die Höhe, wo es weniger heiss ist? Ins städtische Freibad gehen, die Kinder im Wasser planschen lassen? Einen Ausflug unternehmen zum idyllischen Caumasee in der Nähe des bündnerischen Flims? Oder gar Sommerferien in Norwegen oder Island, um der gröbsten Hitze zu entfliehen? Alles Fehlanzeige für mindestens eine Million von Menschen hierzulande, für die weder die Bergfahrt mit der Sesselbahn, noch der Eintritt ins städtische Freibad, noch das Baden im Caumasee und erst nicht die Ferienreise in den Norden bezahlbar sind. Alles, alles nur denen vorbehalten, die es bezahlen können. Und während sich Einfamilienhausbesitzer in ihrem Garten schattige Plätzchen einrichten und vielleicht sogar eine Dusche oder gar einen Swimmingpool aufstellen, müssen sich Abertausende Wenigverdienende in enge Mietwohnungen zwängen, wo sie vielleicht nicht einmal über einen Balkon verfügen, um in lauem Lüftchen ihr Abendessen zu geniessen. Noch krasser wird es, wenn wir über die Landesgrenze hinausschauen: In welcher Hitze wurden wohl die Trauben geerntet, aus denen der kühle Weisswein, denn wir so gerne als Aperitif geniessen, gemacht worden ist? Wie heiss war es wohl auf den Plantagen, wo all die tropischen Früchte geerntet worden sind, die uns in unserem angenehm klimatisierten Supermarkt angeboten werden? Und welche höllischen Temperaturen mussten wohl all die Arbeiterinnen und Arbeiter vom Kongo über Brasilien bis nach Bangladesch ertragen, welche all die Rohstoffe und Bestandteile zu Tage gefördert haben, ohne die wir keine Kleider und keine Schuhe hätten und ohne die weder unsere Computer, noch unsere Autos und unsere Klimaanlagen auch nur einen einzigen Tag lang funktionieren würden? Und auch damit noch lange nicht genug. Denn der Klimawandel, welcher die weltweit zunehmenden Hitzewellen zur Folge hat, wird gerade nicht hauptsächlich von denen verursacht, welche am meisten unter ihnen leiden, sondern ausgerechnet von denen, die gegenüber anderen unzählige Privilegien geniessen: die reichen Länder des Nordens als Ganzes und innerhalb der reichen Länder wiederum vor allem die besonders Wohlhabenden, die mit ihrem überbordenden Lebensstil am meisten zur Klimaerwärmung beitragen und gleichzeitig alle möglichen Wege finden, um sich selber vor jeglichem Ungemach zu schützen. Eine Lösung innerhalb des kapitalistischen Systems ist daher kaum in Sicht und daher die Forderung der Klimabewegung nach einem “System Change”, nach einem von Grund auf anderen Wirtschaftssystem, aktueller denn je…