Aargauer Mittelschulen: “Linke” Lehrkräfte unter Beschuss – fragwürdiges Vorgehen unter dem Deckmantel “politischer Neutralität”

 

Aufgrund einer Maturaarbeit an der Kantonsschule Baden, wonach mehr als ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler die Inhalte der Fächer Geschichte, Deutsch, Englisch und Geografie als “eher links” und 61,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler ihre Deutschlehrpersonen als “links” oder “eher links” wahrnehmen, soll nun die “politische Neutralität” an den Aargauer Mittelschulen unter die Lupe genommen werden, dies aufgrund eines politischen Vorstosses des FDP-Grossrats Adrian Schoop. Dieser begründet sein Vorgehen damit, es gäbe immer mehr Anzeichen dafür, dass Schulleitungen und Lehrpersonen “ein strukturelles Problem mit der geforderten politischen Neutralität haben”. Es ist bezeichnend, dass von der Verletzung der “politischen Neutralität” meist erst dann gesprochen wird, wenn sie, angeblich, von “linker” Seite bedroht zu sein scheint. Völlig ausgeblendet wird dabei, dass wir alle nicht in einer wertefreien, “neutralen” Gesellschaft leben, sondern diese durch und durch von bürgerlich-kapitalistischen Werten durchdrungen ist – ohne dass wir uns dessen in der Regel überhaupt bewusst sind. Kinder und Jugendliche wachsen in einer zutiefst von kapitalistischem Profit-, Leistungs- und Konkurrenzdenken geprägten Gesellschaft auf; individueller sozialer Aufstieg auf Kosten anderer, soziale Ungleichheit, Armut, Wachstum als oberstes Wirtschaftsziel, vielfach übertriebener, von der Werbung angeheizter Konsum bis hin zur Verschwendung natürlicher Ressourcen auf Kosten zukünftiger Generationen – das alles erscheint “normal” und unveränderbar. Und gerade deshalb sind Lehrerinnen und Lehrer so wichtig, die darauf hinweisen, dass alles auch anders sein könnte: Eine sozial gerechte und friedliche Welt wäre möglich, Armut und Hunger müssten nicht sein, die Klimakatastrophe wäre aufzuhalten. Man mag solche Lehrerinnen und Lehrer als “links” bezeichnen, Tatsache ist, dass sie Allerwesentlichstes zur Aufrechterhaltung einer gelebten Demokratie beitragen. Denn die Demokratie lebt nicht davon, dass alle gleich denken, sondern davon, dass unterschiedliche Meinungen und Denkvorstellungen in friedlichem Wettstreit ausgetragen werden. Es versteht sich dabei von selber, dass Lehrerinnen und Lehrer bei alledem niemals auf einzelne Schülerinnen und Schüler Druck ausüben dürfen, eine bestimmte Haltung einzunehmen oder diese in irgendeiner Art und Weise zu bewerten. Aber authentisch dürfen sie sein, klar ihre persönliche Meinung äussern, ihre Weltbilder aufzeigen und gleichzeitig andere Meinungen und Denkvorstellungen respektieren. Das ist genau das, was auch die Jugendlichen selber fordern: Sie wollen sich mit ehrlichen, offenen erwachsenen Bezugspersonen auseinandersetzen, die ihre Gesinnung und ihre Ideale zeigen und sich nicht ängstlich hinter einer vermeintlichen “Neutralität” verstecken, die es in Tat und Wahrheit gar nicht gibt. Wenn nun an den Aargauer Schulen die “politische Neutralität” unter die Lupe genommen wird, dann müsste man ehrlicherweise nicht nur “linke” Lehrerinnen und Lehrer überprüfen, wie “systemkritisch” sie sind, sondern ebenso auch alle “bürgerlichen” Lehrerinnen und Lehrer, wie “systemkonform” sie sind und in welchem Masse sie kritisches, “linkes” Denken ihrer Schülerinnen und Schüler zulassen. Richtet sich die Untersuchung aber nur gegen “linke” Lehrkräfte, dann müsste man eigentlich schon geradezu von einer Form von Gesinnungsterror sprechen und würde der Vorwurf der einseitigen Beeinflussung Jugendlicher letztlich auf sie selber und ihr eigenes einseitiges Weltbild zurückfallen.