Nancy Pelosis Besuch in Taiwan: Veränderung erreicht man nicht durch Konfrontation, sondern nur durch Kooperation…

 

Unter dem Titel “Es ist Zeit für eine ehrliche Diskussion” schreibt Anja Burri in der “NZZ am Sonntag” vom 7. August 2022: “Wir müssen Nancy Pelosi dankbar sein. Die 82jährige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses hat uns diese Woche eine Lektion erteilt. Mutig, selbstbewusst und eigensinnig ist sie nach Taiwan gereist, Drohungen hat sie ignoriert und dafür im Namen der Demokratie China brüskiert. Ihre Reise, und vielmehr noch Chinas Reaktion darauf, ist ein letzter Weckruf. Die Schweiz muss dringend ihre Neutralitätspolitik überdenken und allenfalls neu justieren.” 

Ein Ende des Ukrainekonflikts scheint noch in weiter Ferne zu liegen und schon zeichnet sich ein neuer, hochgefährlicher Brandherd ab. Zeugt es in Anbetracht dieser globalen Konfliktpotenziale tatsächlich von “Mut”, in Form eines offiziellen Staatsbesuchs zusätzlich Öl ins Feuer einer schon seit Längerem schwelenden zwischenstaatlichen Auseinandersetzung zu giessen? Wäre es nicht viel mutiger, sich über alle Grenzen hinweg für eine neue globale Friedensordnung stark zu machen? Bereits hat China als Reaktion auf den Taiwanbesuch Nancy Pelosis acht Kommunikationskanäle mit den USA gekappt, darunter Gespräche über den Klimawandel und auch mehrere Militärdialoge. Die Spirale gegenseitiger Drohungen und Machtgebärden dreht sich offensichtlich stets nur immer wieder einzig und allein in die falsche Richtung und an ihrem letzten Ende steht im schlimmsten Falle ein alles vernichtender Krieg, ja vielleicht sogar ein atomarer Weltkrieg. 

Es ist nie zu früh, diese Spirale anzuhalten und dann in die gegenläufige Richtung zu drehen: in die Richtung des Dialogs, der Kooperation, der Abrüstung, des Friedens. “Entweder”, sagte der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King, “werden wir als Brüder und Schwestern gemeinsam überleben oder aber als Narren miteinander untergehen.” Genau darum geht es: Ob Russen, Chinesen, Europäerinnen, ob die Menschen im Süden oder im Norden, im Westen oder im Osten: Letztlich sind wir alle Brüder und Schwestern, Kinder einer grossen, milliardenfachen Familie – alles Auseinanderreissen, alles Spalten in Freunde und Feinde, alle Trennung durch Grenzen und Ideologien  werden uns nie etwas Gutes bringen, sondern nur Elend, Leid und Zerstörung. “Was alle angeht, können nur alle lösen”, sagte der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt. Was alle angeht, das ist die Erde, das ist das gute Leben aller Menschen auf diesem Planeten heute und erst recht in der Zukunft.

 “Im Namen der Demokratie” hätte Nancy Pelosi durch ihren Taiwanbesuch “China brüskiert”, schreibt Anja Burri. Als würde die Provokation eines Staates oder einer Regierung dazu führen, dass sich die dortigen gesellschaftlichen Verhältnisse verändern und zu mehr Demokratie führen würden. Genau das Gegenteil ist doch der Fall, das müssten wir alle eigentlich schon aufgrund jeglicher zwischenmenschlicher Erfahrung schon längstens wissen: Greift man jemanden an, setzt man jemanden unter Druck, so wird er nicht weicher, sondern nur noch härter. Auch der Ukrainekonflikt bestätigt diese Regel: Je härter die gegen Russland verhängten Sanktionen, umso härter die Repression der russischen Staatsmacht gegen Dissidenten und Andersdenkende im eigenen Land. “Veränderung und Öffnung”, so der deutsche SPD-Politiker Egon Bahr, “erreicht man nicht durch Konfrontation, sondern nur durch Kooperation.” Und Albert Einstein sagte: “Man kann Probleme nie mit der gleichen Denkweise lösen, durch welche sie entstanden sind.” Ja, das Harte kann nur durch Weiches weicher werden. “Auf der Welt gibt es nichts, was weicher und dünner ist als das Wasser”, sagte schon vor mehr als 2000 Jahren der chinesische Philosoph Laotse, “doch um Hartes und Starres zu bezwingen, kommts nicht diesem gleich. Das Weichste in dieser Welt überwindet das Härteste.” 

Eine neue Denkweise muss sich von den alten Mustern lösen, Grenzen überwinden, ein neues globales Bewusstsein des Friedens und der Gerechtigkeit schaffen, wo das Wohlergehen der einen stets auch das Wohlergehen aller anderen ist. Globalisierung würde dann nicht mehr nur im weltweiten Handel mit Rohstoffen, Textilien oder Mikrochips bestehen, sondern auch im weltweiten Handel mit Ideen, kultureller Begegnung und Kreativität im gemeinsamen Aufbau einer neuen, friedlichen Welt, in der alles mit allem verbunden ist. Der Westen nimmt doch stets für sich in Anspruch, das beste aller möglichen Gesellschaftssysteme verwirklicht zu haben. Doch kann sich dies doch nicht allen Ernstes darauf beschränken, ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum zu erzeugen und ein Mehrfaches an Geld für militärische Aufrüstung aufzuwenden als alle anderen Länder der Welt. Wenn der Westen schon eine Vorreiterrolle spielen wollte, dann würde er der ganzen Welt wohl einen ungleich viel höheren Dienst erweisen, wenn er in Richtung auf eine friedliche, gerechte und kooperative Zukunft mit dem guten Beispiel vorangehen würde. “Gibt nicht normalerweise der Klügere nach?”, fragt Gabriele Krone-Schmalz, langjährige ARD-Korrespondentin in Moskau, in ihrem Buch “Eiszeit”. Und weiter: “Wir halten uns doch eindeutig für die Klügeren, die moralisch Überlegenen, oder nicht? Dann müssten die Schritte zur Entspannung eigentlich vom Westen ausgehen.” 

Gerade die Schweiz mit ihren traditionellen guten Beziehungen auf alle Seiten wäre prädestiniert, auf diesem Weg einen mutigen Schritt voranzugehen. Ins allgemeine Kriegsgeheul einzustimmen, ist das Einfachste und zugleich Primitivste. Sich hingegen für den Frieden und die Völkerverständigung einzusetzen, ist viel schwieriger und anspruchsvoller, aber umso notwendiger. Dem Harten das Weiche entgegenzustellen, der Gesprächsverweigerung den Dialog, dem Hass die Liebe – kann man sich eine wichtigere, dankbarere und wertvollere Aufgabe vorstellen? “Es ist Zeit für eine ehrliche Diskussion”, so lautete der Titel von Anja Burris Kolumne in der “NZZ am Sonntag”. Ja, je dunkler die Wolken am Horizont alter und neu aufgebrochener Brandherde, globaler Konfliktpotenziale und wachsender Zukunftsbedrohungen, umso wichtiger und unerlässlicher ist es, die alten Pfade zu verlassen und neue, noch nie begangene Wege aufzuspüren. Denn ja: Es ist höchste, allerhöchste Zeit für eine “ehrliche Diskussion”.