“Arena” vom 19. April 2024 am Schweizer Fernsehen zum Thema Klimapolitik: Viel tiefer kann Diskussionskultur nicht mehr fallen…

Eigentlich hatte ich, als ich am Freitagabend nach dem Zürcher Klimastreik wieder zuhause angekommen war, zunächst absolut keine Lust, mir die am gleichen Abend ausgestrahlte SRF-Diskussionssendung “Arena” zum Thema Klimapolitik anzuschauen. Wahrscheinlich wäre ich sowieso nur einmal mehr zutiefst enttäuscht gewesen und hätte kaum etwas von dem wiedergefunden, was ich während dieser zwei Stunden im Regen und in der Kälte von Zürich erlebt hatte, nichts von dieser überschäumenden Lebensfreude tausender ausschliesslich friedlich und fröhlich für eine lebenswerte Zukunft demonstrierender, vorwiegend junger Menschen, nichts von all dieser wunderbaren Energie und nichts von dem Optimismus, den dies alles in mir ausgelöst hatte. Dennoch habe ich dann zwei Tage später noch kurz in die “Arena”-Sendung hineingeschaut. Und ja, schon zwei kurze Ausschnitte haben genügt, um meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu finden…

Im ersten Ausschnitt stellt der Diskussionsleiter Sandro Brotz fest, dass die Klimabewegung in jüngster Vergangenheit wieder “in die öffentliche Wahrnehmung zurückgekehrt” sei. Dies sei bei “verschiedenen Aktionen” der vergangenen Wochen deutlich geworden. So etwa beim Zürcher Sechseläuten, wo sich eine Handvoll von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten mit einer schwarzen Flüssigkeit übergossen hätten – die entsprechenden Bilder werden eingeblendet -, wobei diese Aktion “gar nicht gut angekommen” sei. Bei dieser Aktion hätte auch Max Vögtli mitgemacht, der später wegen einer Flugreise nach Mexiko in die Schlagzeilen geraten sei. Auch in Basel hätte eine ähnliche Aktion stattgefunden, bei der sogar ein 13Jähriger beteiligt gewesen sei: Im Bild sieht man drei Personen, welche eine schwarze Flüssigkeit über Tramgeleise giessen und sich dann mit einem Transparent auf den Boden setzen, einer von ihnen ist der Dreizehnjährige. Weiter geht es zu den Bildern von zwei Brunnen in der Berner Altstadt, deren Wasser grün eingefärbt worden sei. Und auch heute, am 19. April, so Brotz, seien “weitere Aktionen geplant”. Und ja – Brotz wendet sich nun, anknüpfend an diese Bilder, an den Juso-Präsidenten Nicola Siegrist und wirft ihm die provokative Frage entgegen, ob das nun immer so weiter gehe mit diesen “Strassenblockaden, die uns alle so nerven.”

Man findet kaum Worte, um eine dermassen tendenziöse “Informationsvermittlung” zu beschreiben. In den drei gezeigten Episoden waren insgesamt nicht einmal zehn sogenannte “Klimaaktivistinnen” und “Klimaaktivisten” zu sehen. Während gleichzeitig allein in Zürich rund 4000 Menschen ausnahmslos friedlich, gewaltlos und ohne nur einen Ansatz von Provokation auf die Strasse gegangen sind, um daran zu erinnern, wie weit wir derzeit noch von der Umsetzung der Pariser Klimaziele, mit denen alle Länder der Welt einmal einverstanden gewesen waren, immer noch entfernt sind. Ein Thema, das aktueller nicht sein könnte, das uns eigentlich mit einem gewaltigen Ruck quer durchs ganze Land aufrütteln müsste, wird in der “Arena” reduziert auf ein paar sensationslüsterne Bilder, die aber aus den Köpfen all jener, welche an keiner dieser friedlichen Demonstrationen dabei waren und nichts von der Leidenschaft, den Hoffnungen und Visionen abertausender junger Menschen mitbekommen haben, kaum jemals mehr auszulöschen sein werden.

Im zweiten Ausschnitt bringt Juso-Präsident Nicola Siegrist in einem kurzen Moment alles auf den entscheidenden Punkt: Das Gründübel sei das auf reine Profitmaximierung und immerwährendes Wachstum ausgerichtete kapitalistische Wirtschaftssystem. Solange dies nicht durch eine nachhaltige, nicht mehr länger auf der Ausbeutung von Mensch und Natur beruhende Wirtschaftsweise ersetzt würde, wäre auch eine Lösung des Klimaproblems nicht machbar. Doch statt jetzt in die alles entscheidende Grundsatzdiskussion einzusteigen, scheinen die beiden Kontrahenten auf der anderen Seite des Podiums, Christian Wasserfallen von der FDP und Christian Imark von der SVP, nur darauf gewartet zu haben, ihrem politischen Gegner die alles entscheidende Niederlage beizufügen. Wie Hyänen lauern sie auf ihre Beute, statt mit ernsthaftem Bemühen um eine möglichst sachbezogene Diskussion reagieren sie mit hämischem Grinsen. Wasserfallen beginnt schon zu reden, bevor Siegrist seinen Gedankengang überhaupt zum Ende bringen konnte. Jetzt, meint er, hätte sich Siegrist definitiv selber verraten, es sei doch immer wieder das gleiche “Narrativ”, es gäbe doch kein einziges sozialistisch-kommunistisches Land, das “klimamässig sauber unterwegs” sei, die seien doch alle von Armut geprägt, hätten keinerlei Infrastruktur und keinerlei Innovationen, die dazu führen könnten, Klimaschutzmassnahmen überhaupt technisch umzusetzen. Dann wirft er Siegrist vor, dieser wolle doch bloss den Firmen alle Gewinne wegnehmen, Löhne fordern, die gar niemand bezahlen könne, und damit auch keine Mittel mehr übrig zu lassen, um das Klimaproblem zu lösen. “Herr Siegrist”, sagt er, “haben Sie sich das alles schon einmal überlegt? Wahrscheinlich nicht.” Und dann rät Wasserfallen ihm, endlich von den “marxistisch-roten Büchern” wegzukommen und in die “betriebswirtschaftliche Realität” zu gelangen. Und überhaupt, so fährt er nahtlos weiter, sähe man es ja an diesem Max Vögtli, wohin das alles führe, wenn einer solche Aktionen durchführe und dann am nächsten Tag mit dem Flugzeug nach Mexiko verreise.

Eigentlich wäre das jetzt der Moment für den Moderator. Eigentlich müsste der jetzt sagen, dass man so nicht konstruktiv diskutieren könne und nicht alles durcheinanderbringen dürfte, sondern jeweils beim entsprechenden Thema bleiben müsste. Und er müsste zumindest die Frage aufwerfen, ob es denn ausserhalb des profitsüchtigen Kapitalismus und eines zweifellos mit viel zu vielen Mängeln behafteten “sozialistisch-kommunistischen” Systems nicht möglicherweise noch etwas Drittes geben könnte, das vielleicht noch gar nicht existiert, worüber aber ernsthaft zu diskutieren von grösster Dringlichkeit wäre. Er müsste auch nachweislich falsche Aussagen richtig stellen und zum Beispiel daran erinnern, dass die DDR kurz vor ihrem Zusammenbruch immerhin die sechststärkste Wirtschaftsnation der Welt gewesen war. Doch nichts von alledem geschieht. All die Anschuldigungen, die falschen Behauptungen, die immer wieder neu aufgewärmten Feindbilder bleiben unwidersprochen im Raum hängen. An keiner Stelle findet eine seriöse, vertiefte Auseinandersetzung statt. Ein knallhartes 1:0 für alle, die es immer schon wussten: Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten sind vor allem Menschen, die sich auf Strassen kleben, sich mit schwarzen Flüssigkeiten übergiessen und Flüsse und Brunnen vergiften. Wirtschaftswachstum ist gut. Zum Kapitalismus gibt es keine glaubwürdige Alternative. Deckel darüber. Tiefer kann Diskussionskultur nicht mehr fallen.

Es ist immer wieder die gleiche Methode, mit der man sich einer demokratischen, diskursiven Auseinandersetzung entzieht, indem man den politischen Kontrahenten mundtot zu machen versucht: Wer nur schon die leiseste Vermutung äussert, auch der Westen trage infolge der NATO-Osterweiterung eine Mitschuld am Ukrainekonflikt, ist ein “Putinfreund”. Wer auch nur ansatzweise die derzeitige Politik Israels und den Völkermord an den Menschen im Gazastreifen zu kritisieren wagt, ist ein “Antisemit”. Und wer nur schon den geringsten Zweifel darüber äussert, ob die kapitalistische Ideologie unbeschränkter Profitmaximierung und eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums eine Zukunft haben kann, wird zum “Kommunisten” abgestempelt. Damit aber ist jegliche auch nur ansatzweise demokratische Auseinandersetzung bereits im Keim erstickt.

Meine Eindrücke vom Klimastreik in Zürich, die Begegnungen mit so vielen wunderbaren Menschen voller Idealismus und voller Leidenschaften. Und dann die “Arena”. Zwei Dinge, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Wäre nicht endlich die Zeit reif dafür, sich nicht mehr länger verheizen zu lassen, nicht mehr länger solche Spiele mitzuspielen, sich nicht mehr länger in den Fleischwolf jener werfen zu lassen, die aus dem lautstarken Schlagabtausch oberflächlicher scheinbarer “Wahrheiten” immer wieder als “Sieger” hervorgehen und dabei einer ernsthaften, zukunftsgerichteten Auseinandersetzung schon zum Vornherein jeglichen Boden unter den Füssen entziehen? Es gäbe, so der chinesische Künstler, Dissident und Systemkritiker Ai Weiwei in einem kürzlich mit Sky News geführten Interview, auffallende Ähnlichkeiten zwischen der politischen Zensur in den aktuellen westlichen Gesellschaften und der Unterdrückung der Meinungsfreiheit während der Herrschaft Mao Zedongs. Diese “Arena” war einmal mehr ein zutiefst erschreckendes Beispiel dafür.

(Ich habe auch bis heute nicht verstanden, was dieses Konzept der “schweigenden Masse im Hintergrund” bei den Arena-Sendungen eigentlich soll. Während sich im Vordergrund seit eh und je immer wieder die gleichen Politköpfe, deren immergleiche Worthülsen man längst schon bis zum Überdruss kennt, gegenseitig “duellieren”, sitzen da rund hundert meist junge Menschen, die wohl unzählige Fragen hätten und mit neuartigen, unkonventionellen Ideen das sich stets nach den gleichen Regeln abrollende Ritual aufwirbeln und aufbrechen könnten. Aber nein, sie sind zum Schweigen verdammt, gleichsam die anonyme Masse der nicht wahrgenommenen Bevölkerung symbolisierend, reine Statistinnen und Statisten, reine Dekoration, um dem Ganzen einen einigermassen demokratischen Anstrich zu geben, tatsächlich aber etwas zutiefst Antidemokratisches und das pure Gegenteil dessen, was man als partizipativ bezeichnen könnte, signalisierend, dass sie alle gefälligst zu schweigen haben, weil die da vorne, die wirklich “Wichtigen”, so viel Gescheites zum Besten geben, was man auf keinen Fall stören oder gar in Frage stellen darf. Jeden Freitag eine schallende Ohrfeige für all jene, die seit Jahren dafür kämpfen, dass die Jugend über viel mehr politische Mitsprache verfügen müsste. Gerade bei einem Thema wie Klimapolitik, von dem ja die heute noch unter 30Jährigen in ihrem zukünftigen Leben weit mehr betroffen sein werden als alle älteren Jahrgänge.)