Anschläge auf Gaspipelines in der Ostsee – Auch meine Nachbarin sagt: Klar, waren es die Russen, wer denn sonst?

 

“Verdacht auf gezielten Sabotageakt aus Moskau”, schreibt das schweizerische “Tagblatt” am 28. September 2022 zum mutmasslichen Anschlag auf die Gaspipelines Nordstream1 und Nordstream2 in der Ostsee am 26. September. Und der “Tagesanzeiger” vom 28. September schreibt, die deutsche Regierung halte eine russische Aktion, allenfalls unter “falscher Flagge”, für möglich, nämlich, um den Verdacht von sich selber abzulenken. Ebenfalls erwähnen Radio und Fernsehen SRF Russland als Hauptverdächtigen. Und auch meine Nachbarin sagt: “Klar, das waren die Russen, wer denn sonst?”

Doch bin ich nicht gerade auf “Twitter” über Dutzende von Nachrichten gestolpert, die genau das Gegenteil behaupten? F.W. schreibt, im Rahmen der NATO-Übung Baltops hätte schon im Juni die 6. Flotte der US-Navy den Umgang mit Unterwasserdrohnen trainiert, und zwar an der Küste von Bornholm, im Bereich der Nordstream2-Lecks. Danach hätten die US- und die britische Navy gemeinsam die ukrainische Armee im Umgang mit diesen Drohnen trainiert. N.R. schreibt, mit Bezug auf eine Meldung des Norddeutschen Rundfunks, dass mehrere Tage, bevor die Anschläge erfolgten, rund 4000 US-Soldaten, Hubschrauberpiloten, Marineinfanteristen, Ärzte und Strategen auf dem Weg nach Osten gewesen seien. Nachdem sie die dänische Insel Bornholm passiert hätten, hätten die Amerikaner ihre automatischen Schiffsidentifikationssysteme ausgeschaltet und seien nicht mehr zu orten gewesen. C.L. schreibt, unter Hinweis auf einen absolut glaubwürdigen Link, dass sich Radek Sikonski, der ehemalige polnische Minister für nationale Verteidigung und Aussenminister, kurz nach den Anschlägen bei den Amerikanern mit den Worten “Thank You, USA” bedankt hätte. Und S.N. schreibt, schon am 23. August hätte Polens Präsident Duda den Abriss von Nordstream2 gefordert. 

Wem soll ich glauben? Meiner Tageszeitung, den offiziellen Radio und Fernsehnachrichten? Oder doch eher den Meldungen auf “Twitter”, die sich zwar nicht alle bis ins letzte Detail überprüfen lassen? Doch dann stosse ich auf die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen US-Präsident Joe Biden und dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, ausgestrahlt auf ARD am 8. Februar 2022. Wortwörtlich im Folgenden die entscheidende Passage des Gesprächs.

Biden: “Wenn Russland einmarschiert, das heisst Panzer und Truppen die ukrainische Grenze passieren, dann wird es kein Nordstream2 mehr geben. Wir werden es zu einem Ende bringen.” Journalistin: “Wie genau möchten Sie das anstellen, da sowohl das Projekt als auch die Kontrolle darüber in deutscher Hand liegt?” Biden: “Wir werden, das verspreche ich Ihnen, dazu in der Lage sein.” Scholz: “Vielleicht ist es eine gute Idee, es unseren amerikanischen Freunden zu sagen, dass wir vereint sein und gemeinsam handeln werden. Und wir werden alle notwendigen Schritte einleiten, gemeinsam.” Journalistin: “Werden Sie sich heute verpflichten, den Stecker zu ziehen und Nordstream2 abzuschalten?” Scholz: “Wie ich bereits gesagt habe, wir handeln zusammen, wir sind vollkommen vereint und werden keine anderen Schritte unternehmen. Unsere Schritte werden Russland hart treffen und das sollen sie verstehen.”

Das wäre doch für die westlichen Medien Grund genug gewesen, kurz nach den Anschlägen auf die Gaspipelines ebenso schnell die USA als Hauptverdächtige ins Visier zu nehmen, wie sie nach der Einnahme von Butscha und Isjum Russland als Hauptverdächtigen von Massakern angeschuldigt hatten. Dies umso mehr, als Russland kein einziges nachvollziehbares Interesse daran haben kann, diese Gasleitungen zu zerstören. Anders sieht es bei den USA aus, wenn man an die grossen Profite denkt, welche US-Energiekonzerne mit Gaslieferungen an Europa machen. Zudem verfügen die Amerikaner, im Gegensatz zu den Russen, bekannterweise über viel spezifischere Einheiten, um Operationen dieser Art erfolgreich durchzuführen. 

Offensichtlich sind die westlichen Medien schon längst nicht mehr Ausdruck demokratischer Glaubwürdigkeit, sondern sind selber schon zur Kriegspartei geworden – das, was sie der Gegenseite stets so vehement zum Vorwurf machen. Auffallend ist auch, dass in den westlichen Medien überaus massvoll über die Anschläge berichtet wird – kein Vergleich jedenfalls mit dem Stellenwert, den beispielsweise die Ereignisse in Butscha und Isjum oder die “Scheinreferenden” in der von Russland besetzten Ostukraine eingenommen hatten. Doch auch dafür finde ich auf “Twitter” eine mögliche Erklärung. P.B. schreibt: “Der wohl grösste Beweis, dass die Amerikaner die Pipelines zerstört haben, ist, dass die Mainstream-Medien kaum darüber berichten.”

Können wir uns bei so vielen Widersprüchen schon ein abschliessendes Urteil bilden? Das dürfte noch schwerfallen. Jedenfalls gibt es wohl für die These, es seien die Amerikaner gewesen, mindestens so viele gute Gründe wie für die These, dass es die Russen gewesen sind.