Keine US-Mikrochips nach China: “Eine Strangulierung mit der Absicht zu töten”…

 

“Der Handel mit China wird zur Waffe”, titelt das schweizerische “Tagblatt” am 15. Oktober 2022. Es geht um die massive Beschränkung der Exporte von Superchips aus den USA nach China. Dies, so der Ökonomienobelpreisträger Paul Krugman, sei die “derzeit grösste geopolitische Story: das harte Vorgehen gegen die chinesische Halbleiterindustrie.” Und das “Center for Strategic and International Studies” meint, Biden bezwecke die “Strangulierung grosser Teile der chinesischen Technologieindustrie, eine Strangulierung mit der Absicht zu töten.” Das sieht auch der EU-Chefdiplomat Josep Borrell nicht anders: Die Welt, die gerade entstehe, so Borrell, werde geprägt durch die strategische Rivalität zwischen den USA und China, es sei “eine Welt des Wettbewerbs, in der alles zur Waffe wird, alles: Energie, Investitionen, Informationen oder Migrationsströme.”

Handel als Waffe. Den Konkurrenten strangulieren. Ihn töten. Eine Welt des Wettbewerbs, in der alles zur Waffe wird. Unwillkürlich erinnert man sich bei diesen Worten an eine Aussage der deutschen Aussenministerin Analena Baerbock, die unlängst erklärte, Ziel müsste es sein, die russische Wirtschaft zu “ruinieren”. Doch was bleibt am Ende übrig, wenn sich alle gegenseitig stranguliert und ruiniert haben, sei es mit Bomben, Raketen und Panzern, sei es mit den “friedlichen” Mitteln von Handel, Wirtschaft und Wettbewerb?

Eine Wirtschaft, die dazu dient, andere zu strangulieren und zu ruinieren, ist so ziemlich die äusserste und letzte Perversion, die dem “Homo sapiens” in den Sinn kommen kann. Jedes Eichhörnchen, das im Sommer Nüsse sammelt, um im Winter einen genug grossen Vorrat zu haben, versteht mehr von Wirtschaft als Politikerinnen und Wirtschaftsführer, die ökonomisches Handeln dafür missbrauchen, anderen Schaden zuzufügen und die Existenzgrundlage anderer Menschen, Völker oder Staaten zu zerstören. Wirtschaft hätte keine andere Aufgabe, als jedem Menschen auf diesem Planeten ein Leben in Sicherheit und Wohlergehen zu gewährleisten, ohne übertriebenen Reichtum und ohne übertriebene Armut und im Einklang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen, so dass dieses Wohlergehen auch für alle kommenden Generationen gewährleistet ist. Was jedes Land aus eigener Kraft produzieren und erwirtschaften kann, soll es aus eigener Kraft produzieren und erwirtschaften, nicht zuletzt, um die Transportwege für die Güter möglichst kurz zu halten. Was ein Land aus eigener Kraft nicht zu produzieren und zu erwirtschaften vermag, soll zwischen den Ländern in gegenseitigem Einvernehmen und zu fairen Preisen ausgetauscht werden. Fairer Handel bei gleichzeitig grösstmöglicher Sparsamkeit zwecks Schonung der natürlichen Ressourcen müsste die Devise sein. Dies wäre das Gegenteil des heute weltweit herrschenden Wachstumszwangs, der alle Länder in einen zerstörerischen gegenseitigen Konkurrenzkampf zwingt und ausgerechnet jene Länder mit einem hohen Bruttosozialprodukt und einem überdurchschnittlichen Lebensstandard belohnt, denen es am besten und am skrupellosesten gelingt, andere für sich auszubeuten und für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen.

Unbegreiflich. Was an Liebe, Solidarität, Teilen und gegenseitiger Anteilnahme in jeder Familie und jeder Freundschaft, ob in Brasilien, im Kongo, in Portugal oder in Vietnam, selbstverständlich ist, wird von denen, die in Politik und Wirtschaft weltweit das grosse Sagen haben, Tag für Tag mit Füssen getreten und ins Gegenteil verkehrt. Die ganz “gewöhnlichen” Menschen beherrschen das Handwerk der Liebe. Weshalb soll das, was sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen so sehr bewährt hat, nicht auch Massstab sein für die ganz grossen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Staaten und Völkern? “Es wird”, sagte Papst Franziskus, “in dem Masse Frieden herrschen, in dem es der ganzen Menschheit gelingt, ihre ursprüngliche Berufung wiederzuentdecken, eine einzige Familie zu sein.”

Eigentlich wäre es schon mehr als höchste Zeit. Denn die grossen Bedrohungen unserer Zeit von der sozialen Ungerechtigkeit über den Krieg als Mittel zur Lösung zwischenstaatlicher Konflikte bis hin zum Klimawandel lassen sich schon längst nicht mehr in der Weise lösen, dass jedes Land auf eigene Weise vorgeht. “Was alle angeht”, so der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, “können nur alle lösen.” Wenn wir nicht endlich die Grenzen zwischen den Ländern und Völkern und die Grenzen in unseren Köpfen überwinden, dann wird das für die Zukunft der Menschheit wenig Gutes verheissen. “Entweder”, sagte der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King, “werden wir als Brüder und Schwestern gemeinsam überleben, oder als Narren miteinander untergehen.”