Helle Empörung über die Juso-Initiative zur Einführung einer Erbschaftssteuer für Superreiche: Tatsachen auf den Kopf gestellt

Am 8. Februar 2024 wurde die von den Jusos lancierte Initiative zur Einführung einer schweizerischen Erbschaftssteuer für Superreiche mit 140’000 Unterschriften eingereicht. Die Initiative verlangt, dass Erbschaften über 50 Millionen Franken zukünftig mit 50 Prozent besteuert werden, und zwar nur jener Betrag, der diese 50 Millionen Franken übersteigt, während die übrigen 50 Millionen Franken weiterhin steuerfrei bleiben sollen. Betroffen davon wären gesamtschweizerisch rund 2000 Personen. Dadurch käme es zu zusätzlichen jährlichen Steuereinnahmen von rund sechs Milliarden Franken. “Das so erzielte Geld”, so die Jusos, “soll für sozial gerechte Klimaschutzmassnahmen eingesetzt werden.” Denn schliesslich seien die “Superreichen” aufgrund ihres Lebenswandels für viel mehr CO2-Emissionen verantwortlich als die Durchschnittsbevölkerung. Eine Feststellung, die auch durch eine von der Universität Paris durchgeführte Studie bestätigt wird, wonach in der Schweiz eine Person mit niedrigem Einkommen pro Jahr einen CO2-Ausstoss von 9 Tonnen verursacht, beim reichsten Prozent der Bevölkerung sind es aber pro Kopf im Durchschnitt 195 Tonnen, also mehr als das 20-Fache.

Doch kaum war die Initiative eingereicht, kamen auch schon die ersten Giftpfeile angeflogen. “Es vergeht kein Tag”, so Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen, “ohne dass die Jusos daran herumstudieren, wie sie am besten an das Geld anderer Leute herankommen.” Es handle sich hier, so Müller, um einen “Frontalangriff auf das Erfolgsmodell Schweiz”, um eine eigentliche “Enteignungsinitiative”. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sagt, bei einer Annahme der Initiative würden “viele vermögende Personen schon zu Lebzeiten aus der Schweiz wegziehen, um im Todesfall nicht hier steuerpflichtig zu sein”, und damit bräche “viel wertvolles Steuersubstrat für Bund und Kantone weg”. Und der Wirtschaftsdachverband Économiesuisse meint, Leidtragende bei einer Annahme der Initiative wären “die über Generationen nachhaltig geführten Schweizer Familienunternehmen, denen damit Entwicklungsmöglichkeiten genommen würden”. Firmenverkäufe und Liquidationen zur Begleichung der enormen Steuerbeträge, so die Économiesuisse, wären die Folgen. Zahlreiche Firmen gelangten in ausländischen Besitz, die Familienkontrolle würde verloren gehen und wenn der Verkauf substantieller Unternehmensteile nicht gelingen würde, bliebe in letzter Konsequenz nur die Liquidierung unter Inkaufnahme von Arbeitsplatz- und Know-how-Verlusten. Die Juso zerstöre somit mit ihrer Initiative “einen Grundpfeiler der traditionellen Schweizer Wirtschaft”.

Bevor ich auf eines der zentralen Argumente im Kampf gegen die Einführung einer Erbschaftssteuer für Superreiche eingehe, zunächst ein kurzer Blick auf das Ganze. Die jährlich schweizweit vererbten Vermögen nehmen von Jahr zu Jahr massiv zu. So betrug die gesamte Erb- und Schenkungsmasse im Jahre 1999 noch 36 Milliarden Franken, 2023 bereits 95 Milliarden. Gleichzeitig haben fast alle Kantone nach und nach ihre Erbschaftssteuern für direkte Nachkommen vollumfänglich abgeschafft, sodass die pro Franken angefallene Erbschaftssteuer von 4,1 Rappen im Jahre 1990 auf 1,9 Rappen im Jahre 2023 zurückgegangen ist. Begründet wurde die Abschaffung der kantonalen Erbschaftssteuern mit dem sogenannten “Steuerwettbewerb”, bei dem Kantone mit höheren Steuersätzen angeblich Gefahr laufen, gute Steuerzahlerinnen und Steuerzahlen an Kantone mit niedrigeren Steuersätzen zu verlieren. Eine Behauptung, die mittlerweile, so Marius Brülhart von der Universität Lausanne, wissenschaftlich widerlegt worden ist: “Entsprechende Analysen haben gezeigt, dass eine unterschiedliche Belastung mit kantonalen Erbschaftssteuern keine statistisch wahrnehmbaren Wanderbewegungen vermögender Steuerzahler und Steuerzahlerinnen verursacht hat.” Umso verheerender aber sind die Auswirkungen der Abschaffung von Erbschaftssteuern: Aus der Sicht der Kantonsfinanzen waren sie ein reines Verlustgeschäft, eine Rückkehr auf das Niveau der Erbschaftssteuer von 1990 würde den Kantonen und Gemeinden heute jährliche Zusatzeinnahmen von 2,5 Milliarden Franken bescheren. Dazu kommt, dass der Versuch, mittels einer nationalen Erbschaftssteuer diese Verluste einigermassen auszugleichen, kläglich misslang: Eine entsprechende Volksinitiative wurde im Jahre 2015 mit 71 Prozent Nein-Stimmen geradezu abgeschmettert. Das Fazit: Je höher die vererbten Vermögen, umso kleiner ihre steuerliche Belastung. Oder, mit anderen Worten: Je mehr Geld in die Taschen der Reichen fliesst bzw. dort verbleibt, umso mehr fehlt es der öffentlichen Hand und der allgemeinen Wohlfahrt. Dabei scheint man vollkommen vergessen zu haben, dass es ja in früheren Jahren in sämtlichen Kantonen Erbschafts- und Schenkungssteuern gegeben hatte und die Schweiz damals offensichtlich trotzdem nicht unterging.

Nun zu einem der zentralen Argumente in den Kampfparolen gegen die Einführung einer Erbschaftssteuer, von der gerade mal rund 2000 Personen betroffen wären und die dennoch dringend benötigte jährliche Steuereinnahmen von rund 6 Milliarden Franken zur Folge hätte. Dieses “Argument” besagt, dass die Jusos mit dieser Initiative nichts anderes bezweckten, als “an das Geld anderer Leute heranzukommen”, dass es sich deshalb um eine “Enteignungsinitiative” handle, angetrieben von – wie es in einem Zeitungsartikel zu lesen war – “klassenkämpferischer Manier”, dass es deshalb ein “Frontalangriff auf das Erfolgsmodell Schweiz” sei und dass die Jusos, wie ein Onlinekommentator formulierte, gut so etwas fordern könnten, “wenn andere es bezahlen müssen.”

Doch was ist das “Geld anderer Leute”? Was ist “Enteignung”? Was ist “Klassenkampf”? Und was ist das “Erfolgsmodell Schweiz”? Um diese Fragen möglichst objektiv beantworten zu können, müssen wir uns einfach mal ganz kurz damit beschäftigen, wie Reichtum überhaupt zustande kommt, wie es möglich ist, dass im gleichen Land 1,2 Millionen Menschen von Armut betroffen sind und die 300 Reichsten mit einem Gesamtvermögen von 820 Milliarden Franken fast gleich viel besitzen, wie die USA jährlich für ihr Militär ausgeben, und weshalb es weltweit nur zwei Länder, nämlich Namibia und Singapur, gibt, in denen die Vermögensunterschiede zwischen Arm und Reich noch grösser sind als in der Schweiz.

Die Erklärung ist relativ einfach. Ja, es findet ein Klassenkampf statt. Aber nicht einer von unten nach oben, sondern einer von oben nach unten. Wer in der Schweiz reich werden will, muss nicht vor allem viel, hart und schwer arbeiten. Er muss vor allem, von woher auch immer, möglichst viel Geld besitzen und dieses dann einfach selber weiterarbeiten lassen, bis es sich so sehr vermehrt hat, dass er selber gar nichts mehr tun muss, sondern nur noch zuschauen kann, wie er selber immer noch reicher und reicher wird. In Tat und Wahrheit aber arbeitet sein Geld natürlich nicht selber, sondern andere Menschen müssen dafür arbeiten und darunter leiden, dass dieser entstandene Reichtum immer noch grösser und grösser wird: Indem sie weniger Lohn erhalten, als ihre Arbeit eigentlich wert wäre. Indem beständig ein aus ihrer Arbeitsleistung herausgepresster Mehrwert in die Taschen von Aktionärinnen und Aktionären fliesst, die dafür keinen Finger krumm zu machen brauchen. Indem sie Krankenkassenprämien, Mietzinsen und Kosten für Nahrungsmittel bezahlen, deren Profite sich wiederum früher oder später auf unergründlichen Wegen wieder in Jahr für Jahr steigenden Konzerngewinnen widerspiegeln werden. Es gab einmal eine Zeit, da wurde Arbeit noch besser belohnt als Vermögen. Das ist längst vorbei: Seit 1997 übersteigen die jährlich in der Schweiz generierten Einkommen aus Kapitalbeteiligungen immer stärker die jährlich generierten Einkommen aus Arbeit. Ja, es findet eine Enteignung statt, aber nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten, und jeden Tag ein bisschen mehr. Das Geld, von dem die Jusos einen verschwindend kleinen Teil wieder in die öffentliche Hand zurückholen möchten, läppische sechs Milliarden Franken, ist nicht erarbeitetes Geld, sondern gestohlenes Geld, Raubgut, aufgeschichtet auf Kosten anderer. “Hinter jedem grossen Vermögen”, so Honoré de Balzac, “steckt ein grosses Verbrechen.” Reichtum und Armut sind die beiden unauflöslich miteinander verbundenen Kehrseiten der gleichen kapitalistischen Münze. “Wärst du nicht reich”, sagt der arme Mann zum reichen in der Parabel von Bertolt Brecht, “dann wäre ich nicht arm.”

Und das “Erfolgsmodell Schweiz”? Es findet nur in den Köpfen jener statt, die es auf die Sonnenseite geschafft haben, auf die höheren Stufen der kapitalistischen Machtpyramide. 1,2 Millionen Menschen, die jedes Mal am Ende eines Monat nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, können nur davon träumen. Dass das “Erfolgsmodell Schweiz” nicht nur ein Erfolgsmodell von wachsendem Bruttosozialprodukt, steigenden Aktienkursen und stetig wachsendem Geld in den Händen der Reichen und Superreichen bleibt, sondern ein anständiges Leben für alle in diesem Land heute und in Zukunft Lebenden bedeuten müsste, hierzu wäre die Juso-Initiative für die Einführung einer Erbschaftssteuer für Superreiche ein erster winziger Schritt. Aber wirklich nur ein sehr winziger, dem noch viele, viele weitere folgen müssten.