Luisa Neubauer bei “Markus Lanz”: Eigentlich wäre nicht Luisa Neubauer ein Fall für den Verfassungsschutz, sondern all jene, die sich immer noch keinen Deut darum kümmern, den Klimawandel in den Griff zu bekommen.

 

18. Oktober 2022, ZDF, “Markus Lanz”: Auf den Einwand, klimapolitische Massnahmen bräuchten Zeit und seien nicht von heute auf morgen umzusetzen, sagt die Klimaaktivistin Luisa Neubauer: “Die Wahl zwischen Zeit und Demokratie haben wir nicht. Wenn wir die fundamentalen Krisen dieser Zeit nicht in den Griff bekommen, wie stellen Sie sich dann vor, sollen intakte Demokratien in einer zwei Grad wärmeren Welt aussehen, in der uns die Krisen um die Ohren fliegen, von Notstand zu Notstand.” Auf diese Aussage hagelt es in den sozialen Medien Kritik bis hin zu Beschimpfungen übelster Art, gipfelnd in der Aussage, die Worte von Luisa Neubauer zeugten von “Demokratieverachtung” und wären ein Fall für den “Verfassungsschutz”. Auch die schweizerische “Weltwoche” mischt sich in die Diskussion ein und schreibt: “Wieder einmal schürte die deutsche Klima-Zelotin Panik und legitimierte das Aushebeln der Demokratie.” 

Dabei wäre die Aussage von Luisa Neubauer doch der beste Anlass, um über das Wesen der Demokratie in unserer so krisenvollen Zeit vertieft nachzudenken. Sie sagt ja mit keinem Wort, dass die Demokratie falsch wäre. Sie sagt nur, dass die herkömmlichen demokratischen Abläufe viel zu schwerfällig seien und wir diese Zeit, bevor wir von den schlimmsten Folgen des Klimawandels eingeholt würden, schlicht und einfach nicht mehr hätten. Demokratie ist gut und wichtig, aber nur, wenn sie dazu dient, das Überleben der Menschheit auch noch in zwanzig oder fünfzig Jahren zu gewährleisten. In einer echten Demokratie müssten auch alle zukünftig Geborenen eine Stimme haben, ja in letzter Konsequenz auch alle Tiere und Pflanzen. Eine Demokratie, welche dies alles nicht berücksichtigt, ist keine echte Demokratie, sondern eine Diktatur der heute Lebenden über die zukünftig lebenden Menschen, eine Diktatur der reichen Menschen des Nordens über die armen Menschen des Südens, die vom Klimawandel weit stärker betroffen sind, obwohl sie weitaus weniger dafür verantwortlich sind, eine Diktatur der Interessen des Kapitals und der Profitmaximierung über die Interessen der Menschen und der Natur. Artikel 20 des deutschen Grundgesetzes besagt: “Der Staat schützt auch in Verantwortung für die zukünftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen.” Wer der Meinung ist, Luisa Neubauer sei ein Fall für den Verfassungsschutz, hat diesen Gesetzesartikel offensichtlich noch nicht zur Kenntnis genommen. Eigentlich wäre nicht Luisa Neubauer ein Fall für den Verfassungsschutz, sondern all jene, die sich immer noch keinen Deut darum kümmern, den Klimawandel mit allen nur erdenklichen Mitteln in den Griff zu bekommen.

Zu Recht weisen Luisa Neubauer und andere Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten immer wieder darauf hin, dass nicht Massnahmen gegen den Klimawandel, sondern, im Gegenteil, die Unterlassung solcher Massnahmen das eigentlich Undemokratische sind. Denn sollten die schlimmsten Zukunftsszenarien Wirklichkeit werden, dann werden derart gravierende Verteilkämpfe und soziale Unruhen ausbrechen, dass die Beibehaltung demokratischer Verhältnisse irgendwann wohl nur noch eine schöne Erinnerung an längst vergangene Zeiten sein wird. Möglichst rasche und effiziente Massnahmen gegen den Klimawandel sind daher die einzige und beste Garantie für die Weiterführung der Demokratie. “Die Demokratie”, so Luisa Neubauer bei “Markus Lanz”, “ist eines der wichtigsten Werkzeuge, die wir haben. Die Menschen mit ihren Ideen und ihrem Wissen, das ist das heilige Gut, das wir haben. Sie zu schützen, ist doch das Innerste von dem, wofür wir einstehen.” Ob jene, die sich wie Aasgeier auf einzelne herausgepickte Sätze von Luisa Neubauer gestürzt haben, diese Sätze ebenso aufmerksam und wissbegierig zur Kenntnis genommen haben? Und ob all jenen, die ständig das Wort Demokratie im Munde führen, wohl bewusst ist, dass sie sich selber, indem sie andere Menschen beleidigend und beschimpfend an den Pranger stellen, höchst undemokratisch verhalten? Vielleicht werden sie ja doch noch eines Tages dafür dankbar sein, dass junge Menschen wie Luisa Neubauer ihre ganze Lebenskraft, ihr ganzes Verantwortungsbewusstsein, ihre ganzen Talente und Begabungen Tag für Tag hingeben, um aus der Erde einen Ort zu machen, wo es auch in zwanzig oder fünfzig Jahren noch eine lebenswerte Zukunft gibt.