Javier Milei: Notwendige Reformen oder Rückfall in die Barbarei?

Die „Sonntagszeitung“ schreibt am 7. Januar 2024, Javier Milei, der neu gewählte Präsident Argentiniens, habe insofern recht, als sein Land einen „radikalen Wandel“ brauche, hätte es doch „seit mehr als hundert Jahren über seine Verhältnisse gelebt“. Schuld daran seien vor allem die sozialdemokratisch ausgerichteten Peronisten, deren Politik stets darin bestanden habe, „alles, was mit Geld, Arbeit, Wohnen, Handel und Produktion zu tun hat, zu regeln, zu kontrollieren und zu beschneiden, sowie Export, Import, Kapitalausfuhren und Kündigungen von Arbeitsverträgen zu erschweren“.

Tatsache aber ist, dass es nicht so sehr die „bösen“ Peronisten gewesen sind. Denn die argentinischen Auslandsschulden nahmen immer dann am meisten zu, wenn eine Militärjunta an der Macht war. So stieg die Auslandsverschuldung unter Jorge Rafael Videla zwischen 1976 und 1983 von 7,9 auf 45 Milliarden Dollar – viele der im Ausland aufgenommenen Kredite flossen direkt an das Militär und die Polizei, für Waffen, Wasserwerfer und hochmoderne Folterlager. Gleichzeitig bereicherten sich die Eliten masslos. Allein im Jahre 1980 nahm die von argentinischen Staatsbürgern im Ausland deponierte Geldmenge um 6,7 Milliarden Dollar zu, was Larry Sjaastad, Professor an der University of Chicago, den „grössten Betrug des 20. Jahrhunderts“ nannte.

Seither ist Argentinien nie mehr aus der Schuldenfalle herausgekommen. Um die Zinsen für die von IWF und Weltbank gewährten Kredite abzuzahlen, müssen immer mehr neue Kredite aufgenommen werden, wodurch die Verschuldung stetig ansteigt und die Bevölkerung unter den von IWF und Weltbank geforderten Sparzielen wie „Steuerdisziplin“, „Haushaltstransparenz“, „Liquidierung öffentlicher Dienste“ und „Privatisierung nationaler Ressourcen und Industrien“ in immer grösserem Ausmass leidet. Nicht einmal nach dem Ende der Ära Videla wurde Argentinien, um die Chance für einen demokratischen Neubeginn zu ermöglichen, ein Schuldenerlass zugestanden – die US-Regierung bestand im Gegenteil darauf, dass Argentinien unter dem demokratisch gewählten Präsidenten Raúl Alfonsin sämtliche Schulden, welche die Junta angehäuft hatte, abzahlen müsse. In Argentinien, Ende des 19. Jahrhunderts noch das reichste Land der Welt, leben heute 40 Prozent der Bevölkerung in Armut.

Und so besteht wohl wenig Hoffnung, dass die von Milei angekündigte „Schocktherapie“ auch nur das Geringste zu einer besseren Zukunft Argentiniens beitragen wird. Umso weniger, als Milei sich bisher vor allem durch seine Verharmlosung der unter den Militärdiktaturen begangenen Verbrechen, durch seine Leugnung des von Menschen verursachten Klimawandels und durch seine ungebrochene Bewunderung für Julio Roca, der Ende des 19. Jahrhunderts in Pantagonien einen Völkermord an der indigenen Bevölkerung beging, hervorgetan hat.