„Werden Frauen beim Lohn diskriminiert? Nein, sagt die Nobelpreisträgerin“ – dies der Titel eines Artikels über die Theorien von Claudia Goldin, Harvard-Professorin und Trägerin des Nobelpreises für ihre Forschung über Frauen im Arbeitsmarkt, in der „Sonntagszeitung“ vom 3. Dezember 2023. Kurz zusammengefasst, verficht Goldin folgende These: Frauen sind selber schuld, wenn sie weniger verdienen als Männer. Weil sie nämlich weniger ehrgeizig sind, sich häufig für die Haus- und Familienarbeit entscheiden statt für ausserhäusliche Erwerbsarbeit, öfters in Teilzeitpensen tätig sind und das Feld für lukratives Karrierestreben ihren Männern überlassen. Hätte ein Mann vor 100 Jahren so etwas geschrieben, wäre es nicht besonders erstaunlich gewesen. Aber eine Frau im Jahre 2023, und erst noch eine Nobelpreisträgerin?
Während ihrer langjährigen Studien scheint es Claudia Goldin völlig entgangen zu sein, dass Coiffeusen und Serviceangestellte vier Mal weniger verdienen als Informatiker, Krankenpflegerinnen fünf Mal weniger als Chefärzte, Kitaangestellte sechs Mal weniger als Universitätsdozenten, Putzfrauen hundert Mal weniger als Topmanager. Und Hausfrauen, obwohl sie einen der anspruchsvollsten und wohl den gesamtgesellschaftlich allerwichtigsten Beruf ausüben, für ihre Arbeit nicht einen einzigen Franken Lohn bekommen. Alle selber schuld? Liegt die Schuld nicht viel mehr bei einem zutiefst patriarchalen Gesellschaftssystem, in dem typisch weibliche Berufe, obwohl sie die eigentliche Grundlage für das gesellschaftliche Wohlergehen bilden, nach wie vor systematisch abgewertet und dementsprechend weitaus geringer entlohnt werden?
Wozu streben Frauen wie Claudia Goldin nach höchstem gesellschaftlichem Ansehen, wenn sie dieses dann bloss dazu verwenden, bestehende patriarchale Machtstrukturen „wissenschaftlich“ zu legitimieren und blindlings fortzuschreiben?