Von den afrikanischen Minenarbeitern über die brasilianischen Prostituierten bis zu den Soldaten in der Ukraine: Die Grossen hören erst dann auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen…

 

“Wenn es oft regnet”, so Gustav Gressel, Russland- und Militärexperte bei der internationalen Denkfabrik European Council on Foreign Relations, in der “Sonntagszeitung” vom 13. November 2022, “dann sind dauernde Wechsel um den Gefrierpunkt besonders belastend für die Soldaten, da Gewand und Ausrüstung durchnässt werden, dann einfrieren, dann wieder durchnässt werden, dann wieder einfrieren. Wenn es an der Front kalt wird, werden Soldaten oft krank. Hautkrankheiten wie Läusebefall treten häufig auf, wenn Kleidung nicht mehr regelmässig gewaschen werden kann, weil sie nicht trocknet. Die Parasiten übertragen oft auch andere Krankheiten. Auch der sogenannte Schützengrabenfuss ist eine Krankheit, die Soldaten aus Wintereinsätzen kennen. Wenn Schuhe undicht sind oder Socken über mehrere Tage und Wochen feucht bleiben, können an den Füssen Kälte-Nässe-Schäden auftreten.” Worte, die drastisch schildern, was auf die im Ukrainekrieg kämpfenden Soldaten beim bevorstehenden Wintereinbruch zukommen wird. Und dies alles gesteuert aus fernen Kommandozentralen und Präsidentenpalästen, wo hinter dicken Mauern und gut geschützt über Leben und Tod auf dem Schlachtfeld entschieden wird. “Ich dachte immer”, schrieb der deutsche Dichter Erich Maria Remarque zur Zeit des Ersten Weltkriegs, “jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.”

Doch nicht nur im Krieg werden das Leben und die Gesundheit der Menschen aufs Spiel gesetzt, bloss damit andere aus sicherer Entfernung ihre Machtpositionen festigen und ihre fetten Profite einstreichen können. Milliarden von Menschen weltweit sind Opfer von Ausbeutung jedwelcher Art. Denken wir an die Textilarbeiterinnen in Bangladesch, die am Ende eines 15stündigen Arbeitstags von ihren Aufsehern verprügelt werden, weil sie ihr Tagessoll an genähten Kleidern nicht erfüllt haben. Denken wir an die philippinischen Hausmädchen in Dubai, die in der Küche oder auf dem Flur ihrer Peinigerinnen und Peiniger schlafen müssen, weil ihnen kein eigenes Zimmer zur Verfügung steht. Denken wir an die nepalesischen Wanderarbeiter in Katar, die bei Temperaturen von bis zu 50 Grad die Stadien für die Fussballweltmeisterschaft bauen mussten. Denken wir an die Minenarbeiter im Kongo, die trotz unmenschlicher Arbeit tief unter der Erde nur einen winzigen Bruchteil dessen verdienen, was weltweit Rohstoffspekulanten an Gewinnen in astronomischer Höhe einfahren. Denken wir an all die Prostituierten, die brutaler Männergewalt ausgeliefert sind und jeden Tag um ihr Leben bangen müssen. Denken wir an Kunstturnerinnen, die schon in frühestem Mädchenalter dermassen hart trainieren müssen, dass ihre Körper oft lebenslang unter Schmerzen und Beeinträchtigungen zu leiden haben. Denken wir an Köchinnen, Bauarbeiter, Krankenpflegerinnen, Fabrikarbeiter, Zimmermädchen, Kellnerinnen, Angestellten im Supermarkt, auf Kreuzfahrtschiffen, im Brücken- oder Tunnelbau oder in der Schönheitspflege, die alle, selbst in den “reichen” Ländern des Nordens, schwerste und oft gefährliche Arbeit verrichten, erschöpfendem Zeitdruck unterworfen sind und dennoch nur einen Bruchteil dessen verdienen, was in den Taschen jener verschwindet, welche aus “sicherer Distanz” und “hinter dicken Mauern” aus all der Plackerei ihren höchst gewinnbringenden Nutzen ziehen. Man hätte, um Erich Maria Remarques Zitat leicht abzuwandeln, wohl kaum einen vernünftigen Menschen gefunden, der das Prinzip der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft zugunsten von Machtgewinn und Profitmaximierung für gut befunden hätte. Bis man auf jene stiess, die dennoch daran Gefallen gefunden hatten. Es waren die, welche nicht selber in die Fabriken, in die Bordelle, auf die Baustellen bei 50 Grad Hitze und auch nicht in die Minen, auf die Zuckerrohrplantagen und als Hausangestellte in die Villen der Reichen und Reichsten hingehen mussten, sondern nur ihr eigenes süsses Leben fern von allen Qualen und allem Leiden anderer leben konnten. 

“Divide et impera” – teile und herrsche, so lautete die oberste Maxime der Machtpolitik im Römischen Reich vor über 2000 Jahren. Es war das Prinzip, die einzelnen Regionen des Reichs stets in gegenseitiger Feindschaft zu halten, denn hätten sich diese gemeinsam gegen die Regentschaft des zentralistischen Kaisertums aufgelehnt, so wäre es diesem wohl über kurz oder lang an den Kragen gegangen. Getreu diesem Prinzip ist es dem weltweiten Macht- und Ausbeutungssystem der herrschenden Eliten bis heute gelungen, die Lüge aufzubauen, Formen der Ausbeutung am einen Ort hätten nichts zu tun mit Formen der Ausbeutung an einem anderen. Tatsächlich aber sind die Zimmermädchen in einem Schweizer Hotel, die Prostituierten in Rio de Janeiro oder Kinshasa, die Minenarbeiter in Ecuador oder Bolivien, die Perlentaucherinnen in Bahrain und die Soldatinnen und Soldaten in der Ukraine Opfer des einen und selben weltweiten Systems von Ausbeutung, Zerstörung und Gewalt, das sich wie ein Netz unendlich vieler unsichtbarer Fäden über die ganze Welt hinwegzieht. All jene, die behaupten, das eine hätte mit dem andern nichts zu tun, wissen sehr wohl, weshalb sie diese vermeintliche Wahrheit verbreiten. Würden sich nämlich alle über die Kontinente hinweg Ausgebeuteten in gegenseitiger Solidarität zusammenschliessen, dann käme der ganze Schwindel ans Licht und es wäre nicht nur das Ende jeglicher Ausbeutung, sondern zugleich auch das Ende aller Kriege. Denn, wie der deutsche Dichter Friedrich Schiller schon vor über 200 Jahren sagte: “Die Grossen hören erst dann auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen.” Einfacher und zugleich revolutionärer kann man es gar nicht sagen…