Objektive, unvoreingenommene und aufklärende Berichterstattung wichtiger denn je

Fällt es mir erst jetzt, zurzeit des Nahostkonflikts, immer wieder so deutlich auf, oder war es immer schon so? Anstelle sachbezogener Informationsvermittlung beinhalten Zeitungsartikel häufig ziemlich einseitige, voreingenommene, um nicht zu sagen tendenziöse Aussagen. Dazu im Folgenden zwei Beispiele aus dem “Tagblatt” vom 18. November 2023.

Zunächst der Wochenkommentar von Patrik Müller zum “Fall der Klimaaktivistin Greta Thunberg” mit dem bereits schon reichlich tendenziösen Titel VORSICHT VOR MORALAPOSTELN UND FANATIKERINNEN.

Müller unterstellt Greta Thunbergs Klimabewegung “religiöse Züge”, ohne dies allerdings näher zu begründen, und nennt sie eine “Erlöserfigur”, bedient sich also selber eines religiösen Vokabulars, ausgerechnet das, was er ihr vorwirft. Weiter schreibt er, am WEF in Davos seien ihr alle “zu Füssen gelegen” und hätten ihr “entrückt” zugehört – was erstens krass übertrieben ist und zweitens offen lässt, ob dies nun ein Vorwurf an Greta Thunberg sein soll oder eher an ihr Publikum. Auch wirft er Greta Thunberg vor, sie sei an einer Veranstaltung “in ein Palästinensertuch gehüllt” aufgetreten, “Seite an Seite mit Aktivisten, die antisemitische Parolen skandierten”, von denen eine sogar behauptet hätte, Israel begehe im Gazastreifen “Völkermord” – erstens ist es Greta Thunbergs gutes Recht, aus Solidarität mit den berechtigten Anliegen des palästinensischen Volks nach politischem Selbstbestimmungsrecht ein Palästinensertuch zu tragen, zweitens kann man sie nicht für Aussagen von anderen Menschen verantwortlich machen, die zufällig neben ihr standen, sonst müsste man noch manchen Politiker für irgendetwas verantwortlich machen, bloss weil er irgendwo mal an der Seite von irgendwem stand, und drittens ist das, was diese Aktivistin sagte, nämlich, dass Israel im Gazastreifen Völkermord begehe, nichts anderes als das, was unlängst auch mehrere Minister der spanischen Regierung sowie 30 unabhängige Berichterstatter der UNO gesagt haben. Müller wirft sodann die Frage auf, weshalb sich Greta Thunberg nicht auf ihr “Kerngeschäft” beschränke. Doch weshalb soll sie sich nicht zum Nahostkonflikt äussern und eine pointierte Haltung einnehmen dürfen? Will man ihr dies nur deshalb verwehren, weil man sie ausschliesslich auf die Rolle der Klimaaktivistin reduzieren möchte? Oder hat man Angst davor, sie könnte dank ihrer Popularität andere Menschen zu sehr beeinflussen? Schliesslich steigert sich Patrik Müller zur Behauptung, die zwanzigjährige Greta Thunberg sei “komplett überfordert”. Ich sehe die Überforderung allerdings eher bei denen, die nichts Gescheiteres wissen, als eine so mutige, idealistische junge Frau, der es nicht egal ist, wie unsere Erde in zehn, zwanzig oder dreissig Jahren aussehen wird, mit weit hergeholten Unterstellungen, Schlagwörtern und Schuldzuweisungen in ein schiefes Licht zu rücken, bloss weil sie Dinge sagt, die nicht allen passen.

Zweitens ein Artikel von Julian Schütt mit dem Titel “Wenn die Hamas fortbesteht, geht unsere Zivilisation zu Ende”.

Ohne die Terrorattacke vom 7. Oktober auch nur im Entferntesten rechtfertigen zu wollen, muss man schon daran erinnern, dass dies nicht das einzige und nicht einmal das schlimmste Verbrechen war, von dem die Welt in diesem Jahrhundert bis jetzt betroffen war. Denken wir nur, um ein einziges Beispiel zu nennen, an den Irakkrieg 2003, der von den USA in Verletzung des internationalen Völkerrechts und aufgrund einer reinen Lügenpropaganda angezettelt wurde und den Tod von über einer halben Million unschuldiger Zivilpersonen zur Folge hätte. Da hätte man dann noch mehr Grund gehabt, ein „Ende unserer Zivilisation“ heraufzubeschwören. Weiter behauptet Schütt: „Schweizer Demonstranten, die einen sofortigen Waffenstillstand fordern, und Politiker, die im Namen der ganzen Schweiz jener antiisraelischen UNO-Resolution zustimmten, behandeln die Hamas als ernst zu nehmende Gesprächspartnerin und helfen ihr so.” Da wird nun wirklich alles in einen Topf geworfen. Erstens behandeln bei weitem nicht alle Schweizer Demonstranten, die einen sofortigen Waffenstillstand fordern, die Hamas als ernst zu nehmende Gesprächspartnerin, sondern haben im Gegenteil grösstenteils den Angriff der Hamas stets aufs Schärfste verurteilt, trotzdem fordern sie einen sofortigen Waffenstillstand, was wohl angesichts der aktuellen Lage das einzige Vernünftige ist, oder sollen noch weitere Tausende unschuldige Männer, Frauen und Kinder sterben? Zweitens war die UNO-Resolution, der die Schweizer Delegation zustimmte, alles andere als antiisraelisch. Diese Resolution verurteilt “jegliche Gewalt gegen israelische und palästinensische Zivilpersonen” (damit also auch den Angriff der Hamas), fordert die „sofortige und bedingungslose Freilassung aller Zivilpersonen“, die „illegal festgehalten“ werden, verlangt „ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen“, eine „sofortige Waffenruhe“ und eine „Einstellung aller Feindseligkeiten“. Was soll an dieser Resolution „antiisraelisch“ sein? Schliesslich schreibt Schütt: „Die Schweizer Politik, besonders auf der linken Seite, täte gut daran, wirksamer gegen den grassierenden Antisemitismus und gegen antiisraelische Tendenzen in unserem Land vorzugehen.“ Wieder wird alles durcheinandergemischt. Erstens kommt – wie gerade eine kürzlich publizierte Untersuchung ergeben hat – Antisemitismus weitaus häufiger von der politischen Rechten als von der politischen Linken. Zweitens kann man Antisemitismus und antiisraelische Tendenzen nicht im gleichen Atemzug nennen, im Gegenteil, eine klare Differenzierung ist wichtig. Antisemitismus bedeutet, das jüdische Volk als etwas Minderwertiges zu bezeichnen, dies ist fraglos klar zu verurteilen. Wer aber die heutige Machtpolitik der israelischen Regierung kritisiert, ist deswegen noch lange kein Antisemit. Man darf die israelische Regierung genauso kritisieren, wie man auch jede andere Regierung der Welt kritisieren darf. Leider wird Kritik an der israelischen Regierung häufig mit dem Argument abgeblockt, dies sei etwas Antisemitisches, was ganz und gar nicht der Fall ist.

Einseitige Schuldzuweisungen, fehlende Differenzierung und Vermischung von Begriffen, die nichts miteinander zu tun haben, bringen uns nicht weiter. In einer emotional so aufgeladenen Zeit wie der unseren ist möglichst objektive, unvoreingenommene und aufklärende Berichterstattung wichtiger denn je.