Von der wesentlichen Mitverantwortung der Medien für eine dauerhafte Lösung des Nahostkonflikts

Wie objektiv und ausgewogen werden wir zurzeit durch unsere wichtigsten und einflussreichsten Medien – grosse Tageszeitungen, Radio und Fernsehen – über den jüngsten Nahostkonflikt informiert? Grössere Zweifel daran scheinen auf den ersten Blick nicht angebracht zu sein. Doch bei näherem Kratzen unter der Oberfläche fallen schnell einmal vielerlei Ungereimtheiten auf. Denn meinungsbildend wirkt ja nicht nur das, worüber berichtet wird, sondern vor allem auch all das, worüber nicht berichtet wird. Dazu im Folgenden einige Beispiele, wobei ich mich auf die schweizerische Medienlandschaft beschränke und hier wiederum vor allem auf den “Tagesanzeiger” – stellvertretend für die meisten grossen Tageszeitungen des Landes – sowie auf die Berichterstattung durch Radio und Fernsehen.

Beispiel eins: Am 17. Oktober 2023 brachte Russland einen Resolutionsentwurf zum Nahostkonflikt in den UNO-Sicherheitsrat ein: Der Text verurteilt explizit Gewalt und Terrorismus gegen Zivilpersonen und fordert eine Waffenruhe. Neben Russland stimmten China, die Vereinigten Arabischen Emirate, Mosambik und Gabun dem Resolutionsentwurf zu. Die USA, GB, Frankreich und Japan lehnten ihn ab. Die übrigen Länder, darunter die CH, enthielten sich. Weder im “Tagesanzeiger” noch in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens wurde darüber berichtet, was im Sinne von Objektivität und Ausgewogenheit wohl umso dringender nötig gewesen wäre, als vielerorts bereits Mutmassungen geäussert wurden, Russland könnte allenfalls hinter den Terroranschlägen der Hamas stecken, Mutmassungen, die rasch zu einer gefährlichen Eskalation auf geopolitischer Ebene beitragen könnten.

Beispiel zwei: Am 18. Oktober wurde erneut ein Resolutionsentwurf in den UNO-Sicherheitsrat eingebracht, diesmal durch Brasilien. Dieser Text verurteilt die “terroristischen Angriffe der Hamas”, fordert anderseits Israel auf, den Evakuierungsplan für Zivilpersonen im Gazastreifen aufzuheben und die Verknappung lebenswichtiger Güter für die Bevölkerung im Gazastreifen zu beenden. Weiter verlangt der Text Bemühungen für ein Ende der Kämpfe und betont die Relevanz einer Zweistaatenlösung. Er fordert beide Seiten auf, sich an das internationale Völkerrecht zu halten, humanitäre Hilfslieferungen und Kampfpausen müssten zugelassen werden und es seien humanitäre Korridore zu schaffen. Die von der Hamas festgenommenen Geiseln müssten freigelassen werden. Russland und GB enthielten sich. Die meisten anderen Ratsmitglieder, darunter die CH, stimmten der Resolution zu. Doch die USA verhinderten mit ihrem Veto eine Annahme der Resolution. Auch darüber wurde weder im “Tagesanzeiger” noch in der Tagesschau des Schweizer Fernsehens berichtet. Einzig auf Radio SRF war eine kurze Meldung zu hören, wonach der von Brasilien eingebrachte Resolutionsentwurf an der “unterschiedlichen Haltung der Grossmächte” gescheitert sei, was mehr als schönfärberisch klingt, wenn man bedenkt, dass niemand anderes als die USA ganz alleine und eigenmächtig durch ihr Veto die Annahme dieser Resolution verhindert hatten. Auf meine Nachfrage hin teilte mir die Tagesschauredaktion mit, in der knappen zur Verfügung stehenden Zeit könne man nicht alle Themen angemessen berücksichtigen. Von der Redaktion des “Tagesanzeigers” erhielt ich keine Antwort. Dabei hätte diese Nachricht allergrösste Verbreitung verdient gehabt, umso mehr, als die Schweiz auf der Seite der Befürworter dieser Resolution gewesen war. Hätte man einen Zeitungsartikel bzw. eine Radio- oder Fernsehmeldung publiziert mit dem Titel “USA sprechen mit Veto im Sicherheitsrat Todesurteil über Tausende von Palästinenserinnen und Palästinenser aus”, wäre dies nicht einmal übertrieben oder besonders tendenziös gewesen, denn genau so war es. Aber offensichtlich wollte man dem Publikum eine solche Ungeheuerlichkeit schon gar nicht erst zumuten. Immerhin war im “Tagblatt” vom 19. Oktober zu lesen, dass der UNO-Sicherheitsrat “seit Tagen um eine gemeinsame Resolution gerungen” hatte, Brasilien hätte seinen Entwurf mehrmals überarbeitet. Doch weil im Entwurf das Recht Israels auf Selbstverteidigung nicht explizit erwähnt worden sei, hätten ihn die USA am Ende zurückgewiesen. Für Tor Wennesland, UNO-Sonderkoordinator für Frieden im Nahen Osten, sei das Scheitern dieser Resolution ein Debakel gewesen: “Wir stehen vor dem Abgrund”, so Wennesland, “das Risiko ist real, dass der Konflikt weiter eskaliert und expandiert.”

Beispiel drei: In der Onelinezeitung “Republik” erschien am 18. Oktober der Auszug aus einem Pressebericht von einem Treffen der Likud-Partei im März 2019, in dem Benjamin Netanyahu wie folgt zitiert wurde: “Wer die Entstehung eines palästinensischen Staates verhindern will, muss sich für die Stärkung der Hamas und für das Transferieren von Geld an die Hamas einsetzen. Das ist ein Teil unserer Strategie, die Palästinenser in Gaza von den Palästinensern in der Westbank zu isolieren.” Diese Aussage deckt sich mit jener des israelischen Genozidforschers Omar Bartov, der in einem Interview mit der “Frankfurter Rundschau” vom 17. Oktober Folgendes sagte: “Ministerpräsident Netanjahu hat sich bewusst dafür entschieden, die Hamas zu unterstützen und die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland zu schwächen, weil er glaubte, dass dies der beste Weg sei, um die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern. Er hat den Wind gesät, den die israelische Gesellschaft nun als den Sturm dieser Katastrophe ernten musste. Und wie üblich hat er die Verantwortung für diese Katastrophe nicht übernommen.” Auch diese Meldung passt offensichtlich ganz und gar nicht in das Bild, welches von der überwiegenden Mehrheit der westlichen Mainstreammedien zurzeit vermittelt werden soll, und deshalb fehlt sie dort auch zur Gänze. Sie würde ja, gelangte sie in eine breite Öffentlichkeit, alles bisher Geglaubte auf den Kopf stellen. Und das darf nicht sein…

Beispiel vier: Folgende Aussagen führender israelischer Politiker finden ebenfalls kaum oder wenn, nur ganz punktuell und ohne Breitenwirkung, Eingang in die offizielle westliche Berichterstattung. Sie würden das Bild, in welchem die Rollen der “Guten” und der “Bösen” so klar und eindeutig verteilt sind, allzu sehr in Frage stellen. So etwa sagte der israelische Verteidigungsminister Yoav Galant am 9. Oktober: “Wir kämpfen gegen Tiere und wir werden entsprechend handeln: kein Strom, kein Essen, kein Wasser, kein Gas.” (1) Giora Eiland, Generalmajor der Reserve, schrieb in der israelischen Zeitung “Yedioth Ahronoth”: “Der Staat Israel hat keine andere Wahl, als den Gazastreifen in einen Ort zu verwandeln, an dem es vorübergehend oder dauerhaft unmöglich ist, zu leben. Die Schaffung einer schweren humanitären Krise in Gaza ist ein notwendiges Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Gaza wird ein Ort werden, an dem kein Mensch mehr existieren kann.” (2) Generalmajor Ghassan Alian erklärte: “In Gaza wird es keinen Strom und kein Wasser mehr geben. Es wird nur Zerstörung geben. Ihr wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen.” (2) Yamos Adlin, ehemaliger Chef des israelischen Geheimdienstes, äusserte sich in einer TV-Ansprache vom 11. Oktober wie folgt: “Wir werden erst alles platt machen und dann werden die Truppen hineingehen. Der Krieg muss so enden, dass die Fahne Israels über den Ruinen Gazas wehen wird.” (3) Daniel Hagari, Sprecher der israelischen Armee, meinte in einem Interview mit der Zeitung “Haaretz”: “Wir werfen hunderte Tonnen von Bomben auf Gaza. Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht auf Genauigkeit.” (4) Tally Gotliv, Knesset-Abgeordnete der Likud-Partei, schrieb am 8. Oktober auf Twitter: “Mächtige Raketen sollen ohne Grenzen abgefeuert, Gaza zerschlagen und dem Erdboden gleichgemacht werden. Ohne Gnade.” (5) Israels Wirtschaftsminister Nir Barkat drohte dem Gaza, dem Libanon, der Hisbollah und dem Iran: “Wir werden euch vom Angesicht der Erde tilgen.” (6) Ezra Yachin, israelischer Armeeveteran, rief dazu auf, “alle ihre Familien, ihre Mütter und ihre Kinder auszulöschen”, denn: “Diesen Tieren darf es nicht erlaubt sein, noch länger zu leben.” (7) Maya Golan, Israels Frauenministerin, sagte: “Gaza ist mir egal. Vollkommen egal. Die können ins Meer schwimmen gehen.” (7) Und Israels Staatspräsident Isaac Herzog ist überzeugt: “Es ist die ganze Nation, welche verantwortlich ist. Dieses Gerede von Zivilpersonen, die keine Schuld treffe, ist absolut unwahr. Deshalb werden wir kämpfen, bis ihre Rücken gebrochen sind.” (7) Ähnliche Zitate, aber von der palästinensischen Gegenseite, würden sich wohl blitzschnell in sämtlichen westlichen Medien verbreiten.

Beispiel fünf zeigt, wie subtil und auf den ersten Blick kaum erkennbar einseitige Berichterstattung daherkommen kann: Der “Tagesanzeiger” befasste sich am 24. Oktober in einem Artikel mit den Chancen für eine Zweistaatenlösung. Unter anderem ist zu lesen: “Die Hamas erhebt weiterhin den Anspruch auf ganz Palästina – vom Mittelmeer bis zum Jordan. Ein Existenzrecht Israels wird ignoriert.” Später im Text lesen wir: “Die rechtsreligiöse Regierung in Jerusalem propagiert offen den Anspruch auf das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan. So etwas wie Palästinenser, so das Kabinettsmitglied Belazel Smotrich, gibt es nicht.” So weit so ausgewogen. Jedoch befindet sich in der Mitte des Texts, in grossen Lettern fett herausgehoben, einzig und allein diese Aussage: “Ein Existenzrecht Israels wird von der Hamas ignoriert.” Schnellleser informieren sich, wie allgemein bekannt ist, zunächst mal über Titel und Schlagzeilen, bevor sie, wenn überhaupt, den Artikel im Einzelnen lesen. Aber selbst wenn sie den Artikel als Ganzes lesen, ist die Meinung aufgrund der fett herausgehobenen Textstelle möglicherweise schon gemacht.

Beispiel sechs: Die höchst einseitige und willkürliche Verwendung der Begriffe “Terror” und “Terroristen”. Während der Begriff “Terror” ganz selbstverständlich für den Angriff der Hamas auf Israel verwendet wird und der Begriff “Terroristen” für jene, welche diesen Angriff ausführten, ist im Zusammenhang mit den Bombardierungen des Gazastreifens und des Abschneidens der Zufuhr von Wasser, Nahrungsmitteln, Strom und Medikamenten für die palästinensische Zivilbevölkerung nie von “Terror” die Rede. Genau so wie am 11. September 2001, als, bei den Anschlägen auf das World Trade Center in New York, die Täter als “Terroristen” bezeichnet wurden, nicht aber die US-Regierung und auch nicht die US-Armee, trotz aller Gräueltaten, grausamster Folterungen und Zerstörungen, welche von ihnen in der Folge im Verlaufe der völkerrechtswidrigen Angriffskriege gegen Afghanistan und den Irak verübt wurden, und obwohl “Terror” nichts anderes ist als das lateinische Wort für “Schrecken” und wohl niemand ernsthaft behaupten kann, Drohnen, Kampfflugzeuge, Raketen und Foltergefängnisse würden weniger Schrecken verbreiten als islamistische Selbstmordattentäter.

Beispiel sieben: In die Diskussionsrunde “Club” am Schweizer Fernsehen SRF1 zum Thema Nahostkonflikt am 17. Oktober wurden zwei Jüdinnen und ein Jude eingeladen, aber kein einziger Palästinenser und keine einzige Palästinenserin. Ganz abgesehen davon, dass dadurch wichtige und wertvolle Aspekte aus anderer Sicht nicht eingebracht werden konnten, vermittelt eine so einseitige Auswahl an Beteiligten ungesagt aber auch die Botschaft: Mit solchen Menschen reden wir nicht. Rassismus auf ganz leisen Sohlen, aber deshalb nicht weniger diskriminierend und verletzend für jene, die davon betroffen sind.

Beispiel acht: Am 24. Oktober sprach UNO-Generalsekretär Antonio Guterres bei einer Sitzung des Weltsicherheitsrats zum Nahostkonflikt. Er verurteilte die Angriffe von Terroristen im Auftrag der islamistischen Hamas auf Israel aufs Schärfste, so wie er das bereits zuvor mehrere Male getan hatte, fügte dann aber an: “Es ist wichtig zu erkennen, dass die Angriffe der Hamas nicht im luftleeren Raum stattfanden.” Er erinnerte an die “56 Jahre dauernde erdrückende Besatzung durch Israel” und kritisierte Israels Angriffe auf den Gazastreifen: “Der Schutz der Zivilbevölkerung bedeutet nicht, mehr als eine Million Menschen zur Evakuierung in den Süden zu befehlen, wo es keine Unterkünfte, keine Nahrung, kein Wasser, keine Medikamente und keinen Treibstoff gibt, und dann den Süden selbst weiter zu bombardieren.” (8) Klarer und zugleich ausgewogener – indem die Gewalt auf beiden Seiten verurteilt wird – hätte Guterres es nicht formulieren können. Dennoch schreibt die “NZZ” am 25. Oktober: “Guterres rückte Israel in den Schatten der Mitverantwortung für den Terroranschlag. Das ist unsäglich.” Und ähnlich äussert sich gleichentags der “Tagesanzeiger”: “Was Guterres sagte, ist einerseits richtig, andererseits aber eine unerhörte Aussage, weil sie zumindest unterschwellig nahelegt, die Israelis könnten selbst daran schuld sein, dass sie von Mördern und Schlächtern überfallen wurden. Wer als Chefdiplomat der Welt in einer solchen Situation nicht zunächst in deutlichsten Worten die Gräueltaten der Hamas verurteilt, hat das Mass verloren. Es ist daher verständlich , dass der israelische UNO-Botschafter vor Entsetzen ausser sich war.” Der letzte Satz dieses Zitats, betreffend die Reaktion des israelischen UNO-Botschafters, wird in besagtem Artikel sogar separat fett herausgehoben, sozusagen als Quintessenz des Ganzen.” Tendenziöser geht Berichterstattung nun wirklich nicht mehr. Wenn in diesem Zusammenhang jemand das Mass verloren hat, dann ist es eine Zeitung wie der “Tagesanzeiger” mit einer so einseitigen und verzerrenden Optik. Erstens ist es eine glatte Unterstellung, Guterres hätte nicht in deutlichsten Worten die Gräueltaten der Hamas verurteilt – genau dies hatte er nämlich getan, und zwar schon zum wiederholten Mal. Zweitens hatte er nicht von einer “Schuld” Israels gesprochen, sondern nur davon, dass der Überfall der Hamas nicht in einem “luftleeren Raum” stattgefunden hätte und man die 56jährige Vorgeschichte des Konflikts nicht ausklammern dürfte. Kein einziger seriöser Historiker, keine einzige seriöse Historikerin würde dieser Aussage widersprechen. Dennoch legt der “Tagesanzeiger” Guterres mit dem Wort “Schuld” etwas in den Mund, was er nicht gesagt hatte. Ein seriöses Presseorgan müsste mit Sprache eigentlich etwas differenzierter umgehen. Drittens müsste man noch erklären, wie die Aussagen von Guterres gleichzeitig “richtig” und “unerhört” gewesen sein können. Und viertens hat der Kommentar des “Tagesanzeigers” vollends jede Glaubwürdigkeit verloren, wenn als Quintessenz des Ganzen gesagt wird, es sei verständlich, dass der israelische UNO-Botschafter “vor Entsetzen ausser sich” gewesen sei, der “Tagesanzeiger” übernimmt damit eins zu eins die Position Israels. Das Entsetzen des israelischen UNO-Botschafters war wohl nur deshalb so gross, weil die Wahrheit, die Guterres ans Licht brachte, genau das ist, was die derzeitige israelische Regierung mit ihrem totalen Feindbilddenken gegenüber dem palästinensischen Volk auf gar keinen Fall hören will und deshalb nun sogar so weit geht, den Rücktritt von Guterres als UNO-Generalsekretär zu fordern.

Beispiel neun: In einer gemeinsamen Erklärung zur raschen Eskalation der militärischen Konfrontation zwischen dem palästinensischen Widerstand und den israelischen Streitkräften veröffentlichten drei Jugendorganisationen, die Israelischen Jungkommunisten, das Mesarvot Network und Youth Against Dictatorship, am 22. Oktober ein Communiqué, mit dem unter anderem Folgendes gefordert wird: “Wir, jugendliche Anti-Apartheid-Aktivisten, wenden uns entschieden gegen die wahllose Tötung von Zivilisten und gegen die Kriegsverbrechen der Hamas und der israelischen Armee (IDF). Wir verurteilen jegliche Gewalt gegen die gesamte Zivilbevölkerung im Gazastreifen, im Westjordanland und in Israel und fordern einen sofortigen Waffenstillstand. Wir finden die Ereignisse vom 7. Oktober abscheulich, bei denen Kinder, Frauen und Männer wahllos von militanten Hamas-Kämpfern massakriert oder entführt wurden. Familien aus dem ganzen Land wurden auseinandergerissen, und die Menschen ganzer Dörfer und Städte im Süden des Landes mussten aus ihren Häusern fliehen. Doch wir finden die Verbrechen, die Israel derzeit im Gazastreifen begeht, ebenso abscheulich und erschreckend: die wahllose Bombardierung des Gazastreifens, die Auslöschung ganzer Familien und Stadtviertel, die Zerstörung von Leben, Träumen und Kindheiten. Wir lehnen auch die gewalttätigen Pogrome ab, die von bewaffneten Siedlern im Westjordanland mit Unterstützung der IDF verübt werden, die diesen schrecklichen Krieg ausnutzen wollen, um noch mehr palästinensisches Land in den besetzten Gebieten zu stehlen und die laufende ethnische Säuberung des Gebiets von seinen palästinensischen Bewohnern zu beschleunigen, indem sie den wehrlosen palästinensischen Gemeinschaften unter der Besatzung Angst und Schrecken einflössen. Schmerz, Tod und Angst haben keine Nationalität. Wir betonen, dass dieser Krieg nicht in einem Vakuum ausgebrochen ist. Dieser Krieg ist, ähnlich wie frühere Eskalationsrunden im Gazastreifen, eine direkte Folge der brutalen Belagerung des Gazastreifens, der fortgesetzten Politik mit dem Rasenmäher der IDF im Gazastreifen, des gewalttätigen israelischen Besatzungs- und Siedlungsapparats und der Politik der Teilung und Eroberung zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland, die die israelische Regierung durch die Stärkung der Hamas und die Schwächung der PLO und die Untergrabung ihrer Legitimität als Vertreterin des palästinensischen Volkes im Westjordanland und im Gazastreifen propagiert hat. Wir sind angewidert und entsetzt über all diese Taten, aber wir erinnern uns daran, dass es auf der anderen Seite des Zauns Menschen gibt, denen es genauso geht. Wir bestehen darauf, dass es keine militärische Lösung für ein politisches Problem gibt. Nur diplomatische Bemühungen können ein Ende der Besatzung, der Belagerung und der Gewalt herbeiführen. Nur diplomatische Bemühungen können unserer Region dauerhaften Frieden bringen.” (9) Auch dies eine Nachricht, die keinerlei Chance hat, in westlichen Medien veröffentlicht zu werden, weil damit ja das Bild jenes geeinten Israel, welches wie ein einziger Mann voll und ganz hinter seiner Regierung steht, ganz erheblich ins Schwanken geraten könnte.

Zusammenfassend lässt sich wohl ohne Übertreibung festhalten, dass die westlichen Medien – auch wenn die von mir erwähnten Beispiele nur eine kleine, aber vermutlich durchaus typische Auswahl davon betreffen – viel zu einseitig über den aktuellen Nahostkonflikt und seine Hintergründe berichten. Alternative Sichtweisen lassen sich zwar im Internet wie auch in kleineren Nachrichtenportalen durchaus finden, aber man muss sich aktiv darum bemühen. Und am offiziell herrschenden Meinungsbild ändert sich dadurch nur wenig. Alles wird auf den Überfall der Hamas auf israelische Zivilistinnen und Zivilisten am 7. Oktober zugespitzt, der zwar zu Recht verurteilt wird, was aber nicht heisst, dass man sich nicht ebenso ernsthaft mit der nunmehr 75jährigen Leidensgeschichte des palästinensischen Volkes auseinandersetzen müsste. Beide Völker, das jüdische wie das palästinensische, haben das gleiche Recht, in Frieden und Sicherheit auf diesem Flecken Erde leben zu können. Das geht nur gemeinsam, nicht gegeneinander. Die eine der beiden Seiten ausschliesslich als die “Bösen”, die andere ausschliesslich als die “Guten” darzustellen, bestehende Feindbilder weiter aufrechtzuerhalten, Verbrechen der einen Seite durch die Verbrechen der anderen zu rechtfertigen, zu verurteilen oder zu verschweigen, führt bloss dazu, dass sich die Gewaltspirale endlos weiterdreht. “Auge um Auge, bis alle blind sind”, sagte Mahatma Gandhi. Höchste Zeit, dieser viel zu langen Geschichte von Hass und Gewalt endlich ein Ende zu setzen und die Türe zu öffnen für eine neue Zeit, in welcher der Traum eines friedlichen Zusammenlebens zweier Völker, die sich gegenseitig schon mehr als genug Leid zugefügt haben, endlich Wirklichkeit werden kann. Hierfür tragen nicht nur Politikerinnen und Politiker, sondern auch die Medien, die ihre Unabhängigkeit bewahren müssen und sich nicht vor den Karren der Scharfmacher auf der einen oder auf der anderen Seite spannen lassen dürfen, eine ganz wesentliche Mitverantwortung.

Quellenangaben: (1) Infosperber, herausgegeben von der “Schweizerischen Stiftung zur Förderung unabhängiger Information”, 14.10.23; (2) Infosperber, 19.10.23; (3) Frankfurter Rundschau, 11.10.23; (4) Deutsche Welle, 19.10.23; (5) Münchner Merkur, 16.10.23; (6) www.news.de; (7) SOTN, Alternative News, Analysis & Commentary; (8) Blick, 25.10.23; (9) Kommunistische Partei Israel.

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