Eine Friedenskonferenz in Genf – weshalb es nicht wenigstens versuchen?

 

Schon erstaunlich, wie die SP-Fraktion im National- und Ständerat die Kurve gekriegt hat von einer Partei, die eben noch jegliche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete bekämpft hatte, hin zu einer Partei, welche die Lieferung von Schweizer Rüstungsgütern aus Ländern wie Deutschland, Schweden oder Spanien an die Ukraine ermöglichen möchte.

Noch erstaunlicher aber ist die Argumentation, mit der dieses Unterfangen begründet wird. So sagte die SP-Vertreterin Priska Seiler Graf in der Nationalratsdebatte: „Die Ukraine verteidigt unsere Werte.“ Interessant. Ich habe gar nicht gewusst, dass schweizerische und ukrainische Werte so sehr übereinstimmen. Habe ich etwas falsch verstanden? Oder ist es Priska Seiler Graf entgangen, dass die Ukraine eines der korruptesten Länder Europas ist? Ist ihr entgangen, dass die ukrainische Regierung alle oppositionellen Parteien, Fernsehstationen und Zeitungen verboten hat? Ist ihr entgangen, dass 2019 ein Sprachengesetz in Kraft gesetzt wurde, welches das Ukrainische zur alleinigen Amtssprache erklärt und die Verwendung der russischen Sprache in der Öffentlichkeit unterbindet? Ist ihr entgangen, dass sämtliche Werke russischer Autorinnen und Autoren aus den Bibliotheken der Ukraine entfernt wurden und dass die öffentliche Aufführung musikalischer Werke russischer Komponistinnen und Komponisten verboten worden ist? Und ist ihr entgangen, dass eine nicht unerhebliche Anzahl politischer und militärischer Exponenten der Ukraine auch heute noch den nationalsozialistischen Politiker Stepan Bandera glorifiziert, welcher im Zweiten Weltkrieg mit der deutschen Wehrmacht zusammengearbeitet hatte und unter anderem für Verhaftungen und Massenhinrichtungen von Juden und Jüdinnen mitverantwortlich gewesen war? Und dies alles sollen also Werte sein, welche die Ukraine und die Schweiz miteinander teilen?

Aber selbst wenn sich die ukrainischen und die schweizerischen Werte noch so sehr gleichen würden, wären Waffenlieferungen an die Ukraine immer noch nicht zu befürworten. „Wenn jemand glaubt, dass er Benzin einsetzen muss, um ein brennendes Haus zu löschen, dann ist er einfach ein Idiot“ – der das sagte, ist nicht etwa Putin oder einer seiner Generäle. Es ist Maxim Goldarb, Vorsitzender der Union der linken ukrainischen Kräfte, einer jener Organisationen, welche von der ukrainischen Regierung verboten wurden. In der Tat: Angesichts sinnloser Zerstörung und Gewalt, der Tag für Tag Hunderte von Menschen zum Opfer fallen, gibt es nur eine einzige vernünftige Alternative: einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen, um weiteres Blutvergiessen zu beenden.

Ja, die Schweiz muss die Ukraine unterstützen. Aber nicht, indem sie weiteres „Benzin“ in die schon viel zu hohen Flammen giesst. Im Gegenteil: Nur wenn auf Waffenlieferungen verzichtet wird, besteht die Chance, dass die Schweiz eine konstruktive Rolle als Friedensvermittlerin zwischen den Konfliktparteien einnehmen kann. Weshalb lädt nicht unser Aussenminister zu einer Friedenskonferenz nach Genf ein? Ob es gelingt, kann niemand zum Vornherein sagen, aber auch ausschliessen kann man es nicht. Weshalb es nicht wenigstens versuchen? Diplomatie statt Waffen, Neutralität statt einseitiger Parteinahme, Abbau von Feindbildern statt dem Schüren von Hass und einseitiger Schuldzuweisungen – wären nicht gerade dies genau jene Werte, welche die Schweiz bisher ausgezeichnet haben und die weiterzupflegen gerade heute dringender nötig wären denn je?