Man muss nicht gegen feindliche Armeen kämpfen, man muss gegen den Krieg kämpfen…

 

„Die Schweiz“, so NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Interview mit dem „Tagesanzeiger“ vom 23. März 2023, „könnte mithelfen, Leben in der Ukraine zu retten und das internationale Recht zu verteidigen, indem sie den Verbündeten erlaubt, Waffen und Munition zu liefern.“

Wie zynisch. Waffen liefern, um Leben zu retten? Ich habe immer geglaubt, Waffen seien dazu da, Menschen zu töten und Leben zu zerstören. Gibt es gute und schlechte Waffen? Sind, wie Stoltenberg wörtlich sagt, nur die Waffen in der Hand der Russen dazu da, „hohe Verluste in Kauf zu nehmen“, die Waffen in der Hand der Ukraine aber bloss dazu, „Gebiete zu befreien“? Und wie war das mit den Waffen in der Hand der Ukraine, mit denen zwischen 2014 und 2022 im Donbass Tausende von Zivilpersonen getötet wurden, waren das nun „gute“ oder „böse“ Waffen? Und die Waffen in der Hand der NATO-Truppen im Jugoslawienkrieg 1999 oder im Irakkrieg 2003? Waffen, die „getötet“ haben, oder Waffen, die „befreit“ haben? Spielt es für die einzelnen betroffenen Opfer überhaupt eine Rolle, ob die Waffe, von denen sie getötet wurden, eine „gute“ oder eine „böse“ Waffe war?

Nein, man muss nicht gegen feindliche Armeen kämpfen. Man muss gegen den Krieg kämpfen. Ich wundere mich über die Passivität der Schweiz in Bezug auf mögliche Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine. Mit der Freigabe einiger Schützenpanzer oder der Lieferung von Munition kann die Schweiz ohnehin nur wenig bewirken. Umso mehr dagegen könnte die Schweiz als Friedensstifterin erreichen. Ihre neutrale Stellung wäre eine ausgezeichnete Voraussetzung dafür, sich als Vermittlerin und als Standort von Friedensverhandlungen anzubieten, zumal die Schweiz auch Signatarstaat des IKRK und der UNO ist. Seit einem Monat liegt der überaus konstruktive, ausgewogene, vom Westen aber kaum ernsthaft zur Kenntnis genommene Friedensplan Chinas auf dem Tisch. Auch der brasilianische Präsident Lula da Silva hat eine Friedensinitiative angekündigt. Was hält die Schweiz, statt sich immer mehr in die Hände der NATO treiben zu lassen, davon ab, sich diesen bereits bestehenden Friedensbemühungen anzuschliessen und jene Eigenständigkeit und Unabhängigkeit an den Tag zu legen, auf welche sie in ihrer Geschichte stets so stolz gewesen ist? 

Ja, Stoltenberg hatte Recht: Die Schweiz könnte Leben retten. Aber nicht durch die Lieferung von Waffen, sondern durch den Mut und die Unerschrockenheit, aus der Logik einer Spirale von immer noch mehr und noch mehr Waffen auszubrechen und sich als Botschafterin des Friedens und des Dialogs zwischen die Fronten zu stellen. Kleine können Grosses erreichen. Aber nicht, indem sie mit dem Strom schwimmen, sondern nur, indem sie sich mit aller Kraft dagegen auflehnen.