Unmenschliche Trainingsmethoden im Trampolinspringen: Sport, der nicht mit Lebensfreude verbunden ist, sollte im Leben junger Menschen keinen Platz haben dürfen…

 

Wie Recherchen des Schweizer Fernsehens zeigen, soll eine Trainerin des Nordwestschweizerischen Kunstturn- und Trampolinzentrums in Liestal BL ihre Turnerinnen und Turner der Disziplin Trampolin während Jahren verbal erniedrigt und ihnen teilweise sogar Schmerzen zugefügt haben, “Sie hat uns nie geschlagen”, berichtet eine Turnerin, “aber manchmal wäre es mir fast lieber gewesen, als dass sie mich psychisch so fertigmacht und mir sagt, dass ich aussehe wie ein Schwein und jeden Tag dicker und dicker werde.” Und eine andere berichtet, die Trainerin sei den Sportlerinnen auf die Knie gesessen, um diese zu überstrecken – viele hätten deswegen bis heute Knieprobleme. “Manchmal”, so eine weitere Athletin, “habe ich mir gewünscht, bei einem Sprung auf den Kopf zu fallen, dass ich wenigstens eine Zeitlang nicht mehr ins Training müsste.” Die Recherchen ergaben auch, dass nicht wenige der Trampolinspringerinnen Suizidgedanken gehabt hätten.

Zuerst die Kunstturnerinnen. Dann die Synchronschwimmerinnen. Und jetzt die Trampolinspringerinnen und Trampolinspringer. Gewalt, Schmerzen, Beleidigungen, körperliche Langzeitschäden, Suizidgedanken. Das kann wohl kein Zufall sein. Da muss ein System dahinterstecken. Dieses System, das ist das Konkurrenzprinzip. Es funktioniert ganz einfach: Wer sich bis in die Elite hochgekämpft hat, steht fortan in einem unerbittlichen globalen Wettbewerb. Das heisst: Wenn schweizerische Trampolinspringerinnen an den nächsten Europa- oder Weltmeisterschaften Erfolg haben wollen, dann müssen sie besser sein als die rumänischen oder die chinesischen Springerinnen. Und je mehr und je härter und je extremer bis an ihre Schmerzgrenze die einen trainieren, umso mehr sind die anderen, wenn sie nicht scheitern wollen, gezwungen, es ihnen gleichzutun oder sie wenn möglich noch zu übertreffen. Keine schweizerische Jugendliche würde einer rumänischen oder chinesischen Jugendlichen Leid zufügen wollen, und doch zwingt die schweizerische Jugendliche mit jeder zusätzlichen, noch härteren Trainingseinheit, ob sie will oder nicht, die rumänische oder chinesische Jugendliche zu einer noch extremeren Leistung und umgekehrt. Und weil sich dadurch die Leistungen gegenseitig immer weiter in die Höhe schrauben, wird der Aufwand, an der Spitze mithalten zu können, von Jahr zu Jahr immer grösser, die Sprünge immer schwieriger und gefährlicher, das Leiden der Athletinnen immer unerträglicher.

Man kann nun schon, wie das getan wird, mit den Fingern auf eine “böse” und “herzlose” belarussische Trainerin zeigen. Doch auch diese ist ein Teil des Systems. Auch sie steht unter einem gewaltigen Druck ihrer Vorgesetzten, aus ihrem Team eine möglichst grosse Leistung herauszupressen. Man müsste sich ja einmal fragen, weshalb denn schweizerische Sportverbände ausgerechnet Trainerinnen aus osteuropäischen Ländern verpflichten, obwohl ja allgemein bekannt ist, dass diese besonders drakonische Trainingsmethoden anwenden. Die Antwort ist einfach: Sie werden angestellt, eben gerade weil sie für ihre Trainingsmethoden so berüchtigt sind – um eben die grösstmögliche Leistung zu erzielen.

Der aktuelle Spitzensport hat sich in einer selbstzerstörerischen Sackgasse verirrt. War Sport ursprünglich ein Anlass für Vergnügen und Lebensfreude und diente er der allgemeinen Wohlfahrt und Gesundheit, so ist im Spitzensport alles entgegengesetzt: Er macht die Menschen krank statt gesund, zwingt sie, ihre Körper bis zum Exzess kaputtzumachen und verscheucht jegliche Lebensfreude – das zeigt sich auch darin, dass die meisten der im Bericht zu Wort gekommenen Trampolinspringerinnen, die heute zwischen 17 und 20 Jahre alt sind, ihre Karriere inzwischen beendet haben – was bei ihnen allen wohl mit viel Begeisterung und Hoffnung begonnen hat, ist zu einer Lebensphase verkommen, die sie möglichst schnell wieder vergessen möchten.

Kosmetische Korrekturen, wie sie in den betroffenen Sportverbänden heute diskutiert werden, genügen daher nicht. Auch nicht das blosse Auswechseln von Trainerinnen. Es braucht vielmehr ein radikales Umdenken, ein radikales Hinterfragen des herrschenden Konkurrenzprinzips im Spitzensport. Alle Phantasie müsste aufgewendet werden, neue Formen zur Entfaltung jugendlicher Talente zu finden, die mit dem wahnhaften Vergleichen, Bewerten und Messen von sportlichen Leistungen, vor allem in Gestalt internationaler Wettkämpfe, nichts mehr zu tun haben. Sport, der nicht mit Lebensfreude verbunden ist, sollte im Leben junger Menschen keinen Platz haben dürfen.