Nur Vertrauen kann die kalte Mauer der Gewalt und der gegenseitigen Selbstzerstörung durchbrechen…

 

Als der chinesische Präsident Xi Jinping Ende Februar 2023 seinen 12-Punkte-Plan zur Beilegung des Ukrainekonflikts vorlegte, beeilten sich sogleich westliche Politiker und Medien, die Glaubwürdigkeit und die Ernsthaftigkeit dieses Plans in Frage zu stellen. Weder am Fernsehen noch in den grossen Tageszeitungen wurde der Plan im Wortlaut publiziert, was es der Öffentlichkeit möglich gemacht hätte, sich selber ein objektives Bild davon zu machen. Das Einzige, was gesagt wurde, war, China würde sich vor einer Verurteilung des russischen Angriffskriegs drücken und somit einseitig für Putin Partei ergreifen. Was nicht gesagt wurde: Dass Xi Jinping auch die Nato-Osterweiterung und die massive Aufrüstung der Ukraine durch die USA seit 2008 nicht verurteilt hatte, ganz einfach deshalb, um die Glaubwürdigkeit als neutraler Vermittler nicht aufs Spiel zu setzen.

Wer sich die Mühe genommen hat, den chinesischen Friedensplan im Einzelnen anzuschauen, kann ihm alles unterstellen, nur nicht eine einseitige Parteinahme. Schon im ersten Artikel wird die Beibehaltung der Souveränität beider Konfliktparteien unmissverständlich festgehalten. Weiter wird gefordert, dass bei einer Friedenslösung die Interessen beider Seiten angemessen berücksichtigt werden müssten. Und schliesslich soll alles Erdenkliche unternommen werden, um eine Eskalation des Konflikts bis hin zu einem möglichen Atomkrieg abzuwenden.

Wo Türen schon zugeschlagen werden, bevor sie noch richtig geöffnet wurden, kann Frieden nicht einkehren. Dieser Tage feiern wir das Osterfest, das Fest der Nächstenliebe. Alle am Ukrainekonflikt beteiligten Länder haben christliche Wurzeln. Sie alle hätten eine gemeinsame Grundlage, das Gebot der Nächstenliebe, welche auch die Feindesliebe einschliesst. Selbst den Feind zu lieben – das mag bei der ganzen Brutalität, durch welche sich dieser Krieg auszeichnet, auf den ersten Blick völlig unrealistisch und naiv klingen. Und doch ist es der einzige Weg aus der tödlichen Sackgasse, in welche sich die Konfliktparteien verrannt haben. 

Alles ist eine Frage von Vertrauen oder Misstrauen. Wer einem chinesischen Friedensplan schon misstraut, bevor er ihn richtig angeschaut hat, sät auf der anderen Seite nur noch grösseres Misstrauen. Wer jede Pressemitteilung der einen Konfliktpartei der Lüge bezichtigt, zwingt auch die Gegenseite dazu, exakt das Gleiche zu tun. Wer Atomwaffen aufstellt, weil er den Friedensbeteuerungen der Gegenseite nicht traut, bringt die andere Seite dazu, genau das Gleiche zu tun. Misstrauen führt nur immer zu grösserem Misstrauen und treibt die gegenseitige Macht- und Gewaltspirale endlos in die Höhe.

Vertrauen – und damit Friedensförderung – kann nur durch Vertrauen entstanden. Das, was man bei gelungenen Friedensgesprächen “vertrauensbildende Massnahmen” nennt. Nur Vertrauen kann die kalte, zerstörerische Mauer der Gewalt und der gegenseitigen Selbstzerstörung durchbrechen. “Der beste Weg, um herauszufinden, ob du jemandem vertrauen kannst”, sagte der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway, “ist, ihm zu vertrauen.” Und weshalb soll, was für zwischenmenschliche Beziehungen gilt, nicht auch für die Beziehungen zwischen Staatsgebilden oder Wirtschaftsmächten gelten? Auf den ersten Blick mag eine solche Sichtweise realitätsfremd oder gar naiv klingen. Und doch ist sie um ein Vielfaches weniger realitätsfremd und naiv als die Idee, dieser Konflikt könnte mit rein militärischen Mitteln zu einem guten Ende gebracht werden.