Wer Daniele Ganser als “Gaukler”, “Verschwörungstheoretiker” und “Putinversteher” bezeichnet, macht sich die Sache wohl um einiges zu einfach…

 

“Im Bann des Gauklers” – so der Titel eines ganzseitigen Artikels in der “NZZ am Sonntag” vom 9. April 2023. Der “Gaukler”, das ist Daniele Ganser, der seit Monaten mit seinen Vorträgen über den Ukrainekonflikt in Deutschland Halle um Halle mit Tausenden von Zuhörerinnen und Zuhörern füllt.

Der Artikel ist ein Lehrstück über tendenziösen Journalismus, scheint es doch dem NZZ-Journalisten nicht so sehr darum zu gehen, sich mit Gansers Thesen ernsthaft und objektiv auseinanderzusetzen, sondern bloss darum, ihn zu diffamieren und seine Positionen ins Lächerliche zu ziehen. So heisst es im Artikel, Gansers Aussagen seien “nachweislich falsch”, ohne dass dieser Nachweis tatsächlich erbracht wird. Dafür ist dem Autor jedes Mittel recht, Ganser in ein möglichst schiefes Licht zu rücken: Ganser, der “Gaukler”, wird zusätzlich als “Verschwörungstheoretiker” und “Putinversteher” bezeichnet und es wird gesagt: “Ganser war einmal ein seriöser Historiker” – damit suggerierend, dass er das jetzt offensichtlich nicht mehr ist. Der Journalist begnügt sich aber nicht damit, Ganser fehlende Seriosität zu unterstellen, er karikiert gleich auch noch Gansers Publikum: “Ganz vorne erhebt sich eine Frau mit schwarzem Hijab, hinter ihr ein katholischer Priester in Talar und Römerkragen”, die vor dem Eingang Wartenden “sehen aus wie aufgereihte Dominosteine”, das Lächeln einer 25jährigen Wirtschaftsingenieurin sei “breit wie der Rhein”, “Bier wird nachgefüllt, vielleicht ein Wildberry Lillet für acht Euro”, die “Fangemeinde” klatsche “frenetisch”. Alles in allem soll damit wohl der Eindruck erweckt werden, es handle sich bei Gansers Publikum um eine diffuse, unkritische und manipulierbare Masse.

Nur zu vier Punkten aus Gansers Vortrag nimmt der Autor konkret Stellung. Der erste ist Gansers Feststellung, es gäbe Zweifel an der russischen Verantwortung für das Massaker von Butscha. Der zweite ist Gansers Behauptung, Bill Clinton hätte das mündliche Versprechen an Russland, die Nato nicht nach Osten auszudehnen, gebrochen. Der dritte lautet, George W. Bush hätte der Ukraine 2008 zugesichert, sie könne der Nato beitreten. Und der vierte besteht darin, der Putsch auf dem Maidan 2014 sei von der CIA instrumentalisiert worden, um einen gewünschten Regierungswechsel in Kiew herbeizuzwingen. Ganser, so der NZZ-Journalist, wiederhole mit diesen Behauptungen, “was Historiker längst als falsch erkannt haben”. Doch so einfach, wie es der Autor gerne hätte, ist es nicht. Was die erste Behauptung – Butscha – betrifft, gibt es tatsächlich widersprüchliche Darstellungen, wenngleich die These einer russischen Hauptschuld durchaus glaubwürdig zu sein scheint. Für die zweite und dritte Behauptung – Natoerweiterung – gibt es eine Vielzahl glaubwürdiger Quellen. Weniger eindeutig scheint die Sachlage bei der vierten Behauptung – Maidan und CIA – zu sein, wenngleich eine Vielzahl von Expertinnen und Experten auch diese These stützen. 

Wenn also der NZZ-Journalist Daniele Ganser als “Gaukler” bezeichnet, dann müsste er all jene westlichen Expertinnen und Expertinnen, welche die alleinige Schuld am Ukrainekrieg Russland in die Schuhe schieben und jegliche Mitschuld des Westens in Bausch und Bogen verwerfen, ebenso als Gaukler bezeichnen. Man muss nicht allem, was Ganser in seinen Vorträgen vermittelt, kritiklos zustimmen. Aber auch das Gegenteil ist, um den Konflikt in seiner ganzen Komplexität zu begreifen, wenig hilfreich. Ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit und Objektivität und ein bisschen weniger Polemik würde ich mir in einer renommierten Zeitung wie der “NZZ am Sonntag” schon wünschen…