„Es gab keinen vernünftigen Grund für den Krieg gegen Afghanistan“, sagte der US-Publizist Noam Chomsky am 20. Oktober 2021, „Osama Bin Laden war erst ein Verdächtiger, als die Vereinigten Staaten begannen, Afghanistan zu bombardieren. Wenn es einen Verdächtigen gibt, den man festnehmen will, führt man normalerweise eine kleine Polizeiaktion durch. Aber nein: Zuerst bombt man, dann prüft man, ob es einen Grund dafür gegeben hat. Wenn das jemand anderes tut, nennt man es Terrorismus. Wenn wir Amerikaner es tun, dann ist es ein Spass und ein Spiel.“ Was Chomsky über den Afghanistankrieg sagte, gilt gleichermassen für den Vietnamkrieg 1964-1975, für die verdeckten Militäroperationen in Zentralamerika unter Präsident Reagan, für den Jugoslawienkrieg 1999, für den Irakkrieg 2003 und alle anderen rund 40 Kriege und Militärschläge, welche die USA seit 1945 geführt haben und die rund 50 Millionen Tote und rund 500 Millionen Verwundete gefordert haben. Es gab keinen Grund, zuerst bombte man, dann suchte man Rechtfertigungen, andere würden es Terrorismus nennen, aber für die USA war es Spass und Spiel – wie 1991, als ein US-Militärpilot bei der Bombardierung fliehender irakischer Soldaten begeistert ausrief, die würden ja sterben „wie Fliegen“. Als der US-Ökonom Jeffrey D. Sachs anlässlich einer Konferenz des „Athenic Democratic Forum“ am 26. Oktober 2022 sagte, das gewalttätigste Land der Welt seit 1950 seien die USA, da fiel ihm sogleich der Moderator ins Wort und hinderte ihn daran, weiterzusprechen. Und Julian Assange, der im November 2007 die geheimen Richtlinien der US-Armee für das Gefangenenlager Guantanamo an die Öffentlichkeit brachte, sitzt seit April 2019 in einem Londoner Gefängnis, von wo er gegen eine Auslieferung an die USA kämpft, wo ihm eine Haftstrafe bis ans Lebensende droht.
Doch die Blutspur des US-Imperialismus geht noch viel weiter zurück. Sein erstes Opfer waren die 5 bis 7 Millionen Indigene, welche vor dem Eintreffen des „weissen Mannes“ den nordamerikanischen Kontinent bevölkerten und hernach auf brutalste Weise Krankheiten, kriegerischen Auseinandersetzungen mit den europäischen Eindringlingen, Vertreibung und Massakern zum Opfer fielen. Nicht besser erging es den Millionen von Afrikanerinnen und Afrikanern, die vom „weissen Mann“ vom 16. bis zum 19. Jahrhundert auf nordamerikanischen Plantagen unmenschlichster Zwangsarbeit unterworfen wurden und meist schon frühen Alters starben. Andere würden es Terrorismus nennen, für sie aber, die Sklavenhalter und Kolonialherren, waren es die Grundlagen und Voraussetzungen für den vielgelobten Aufstieg zur zukünftigen Weltmacht, die alle übrigen bisherigen Weltmächte um ein Vielfaches in den Schatten stellen sollte.
Der US-Imperialismus ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite, der glänzenden, steht all das, was uns an den USA immer wieder so fasziniert: das Land der unendlichen Möglichkeiten, der „American Way of Life“, unbändiger Fortschrittsglaube und Pioniergeist, künstlerische Meisterleistungen in Musik, Literatur und darstellender Kunst, technische Erfindungen und Innovationen mit weltweiter Ausstrahlung, wunderschöne Landschaften und Menschen von ausgesuchter Offenheit und Herzlichkeit. Auf der anderen Seite des Schwertes aber klebt das Blut von Abermillionen von Menschen, die im Laufe der Jahrhunderte zu Opfern des US-Imperialismus geworden sind, zu Opfern seiner Machtgier und seines skrupellosen Bestrebens, die ganze Welt bis in ihre äussersten Winkel zu beherrschen. Und je nachdem, ob man sich auf der glänzenden oder auf der blutigen Seite des Schwerts befindet, wird man den US-Imperialismus glorifizieren oder ihn aber als das verdammen, was andere „Terrorismus“ nennen würden.
Imperien kommen und gehen. Kein Imperium, auch nicht das Römische Reich, das ein für die damalige Zeit unvergleichliches Machtsystem rund um das ganze Mittelmeer aufgebaut hatte, hat ewig Bestand gehabt. Auch das US-Imperium wird eines Tages seine Weltherrschaft aufgeben müssen. Könnte es sein, dass wir diesem Zeitpunkt heute schon viel näher sind, als dies eben noch denkbar erschien? Das wachsende Selbstbewusstsein der lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Länder, das Aufstreben Chinas als neuer Supermacht wie auch immer lauter werdende Stimmen aus Europa, die einen eigenständigen politischen und wirtschaftlichen Weg fordern und sich vom Gängelband der USA befreien möchten, deuten darauf hin.
Eine neue Zeit zeichnet sich am Horizont ab. Eine Zeit, in der nicht mehr einzelne Länder andere beherrschen, unterdrücken und bevormunden, sondern gleichberechtigt und mit gleich langen Spiessen miteinander kooperieren. Eine Zeit, in der Kriege für immer der Vergangenheit angehören werden, denn ohne Imperialismus und ohne das Bestreben einzelner Länder, von anderen Besitz zu ergreifen, wird auch der Krieg als Machtmittel Einzelner gegen andere ganz und gar überflüssig geworden sein. Doch wäre nichts gewonnen, wenn dann, nach einem absehbaren Ende des US-Imperialismus, einfach China in die Fussstapfen der Weltmacht Nummer eins treten würde. Das Ansinnen, ein einzelnes Land könne die ganze Welt beherrschen, hat sich im Laufe der Geschichte so oft als zerstörerisch erwiesen, dass die daraus zu lernende Lektion nur eine einzige sein kann: ein friedliches, partnerschaftliches, auf gegenseitigem Respekt beruhendes Miteinander aller Völker und aller Länder auf dieser Erde, die nicht einzelnen Starken und Mächtigen gehört, sondern uns allen. Alles andere gehört in die Mottenkiste der Vergangenheit.