Sozialpolitik und Umweltpolitik nicht gegeneinander ausspielen, sondern miteinander in Einklang bringen: Ohne soziale Gerechtigkeit ist alles nichts…

 

Politische Parteien wie die SVP in der Schweiz oder die AfD in Deutschland hetzen gegen klimapolitische Massnahmen wie Preiserhöhungen, Sparappelle oder Einschränkungen umweltschädlicher Lebensgewohnheiten mit dem Argument, all dies treffe vor allem die “unteren”, ärmeren, an sich schon benachteiligten Bevölkerungsschichten. Während diese ihren Gürtel immer enger schnallen müssten und die Kosten für Strom, Heizung oder Benzin einen immer grösseren Teil ihres sowieso schon knappen Haushaltsbudgets wegfressen würden, könnte sich der reichere Teil der Bevölkerung weiterhin teure Luxusautos, den Swimmingpool im eigenen Garten oder die Ferienreise auf einem Kreuzfahrtschiff leisten.

Diese Argumentation leuchtet auf den ersten Blick durchaus ein. Doch vermischt sie zwei Fragestellungen, die nur bedingt etwas miteinander zu tun haben. Die erste Fragestellung ist eine umweltpolitische. Hier geht es um möglichst wirkungsvolle Massnahmen gegen den Klimawandel – der Notwendigkeit solcher Massnahmen lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht wohl kaum widersprechen. Jeder noch so kleine Schritt, um den CO2-Ausstoss zu verringern, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die zweite Fragestellung ist eine sozialpolitische. Es ist in der Tat höchst stossend, dass von jeder noch so geringen Klimaschutzmassnahme stets die weniger Verdienenden ungleich viel härter betroffen sind als die besser Verdienenden. Der daraus entstehende Unmut der “Unteren” gegen die “Oberen” ist nur allzu verständlich und kann denn auch von den entsprechenden Parteien erfolgreich ausgeschlachtet werden – vor allem dann, wenn, wie das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist, Politikerinnen und Politiker bei jeder Gelegenheit für ihre Staatsbesuche ein Flugzeug oder eine teure Staatskarosse benützen oder wenn ein neues Bundeskanzleramt gebaut werden soll, achtmal so gross wie das Weisse Haus, auf einer Fläche von 50’000 Quadratmetern, für 770 Millionen Euro.

Dies alles macht deutlich, dass es, um wirksame Umweltpolitik, aber auch wirksame Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zu machen, einer unerlässlichen Grundvoraussetzung bedarf. Diese Grundvoraussetzung, das ist die soziale Gerechtigkeit. Nur wenn von Sparmassnahmen, höheren Kosten oder Einschränkungen von Lebensgewohnheiten alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Masse betroffen sind, sind sie allgemein akzeptierbar und umsetzbar. Im Idealfall verfügten alle Menschen über das gleich hohe Einkommen – in Form eines Einheitslohns – und das gleich hohe Vermögen, genau im Gegensatz zur aktuellen Entwicklung, bei der die Schere zwischen ärmeren und reicheren Bevölkerungsgruppen immer weiter auseinandergeht. Soziale Gleichheit wäre nicht nur gut im Hinblick auf umweltpolitische Fragen, sondern würde fraglos auch den ganzen gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern wie auch gleiche Chancen für alle endlich nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität verwirklichen.

Zukunftsmusik, zweifellos. Doch die Utopien von heute können, wenn wir das wollen, die Realität von morgen werden. Umweltpolitik und Sozialpolitik lassen sich, auch wenn das die meisten “Realpolitiker” nicht wahrhaben wollen, schlicht und einfach nicht voneinander trennen. Wir müssen nicht nur der Umwelt, der Natur und dem Klima Sorge tragen, sondern vor allem auch den Menschen, die hier und heute leben. Wenn, wie dies beispielsweise in der Schweiz der Fall ist, Hunderttausende von Menschen selbst bei voller Erwerbsarbeit so wenig verdienen, dass sie davon nicht einmal ausreichend leben können, dann ist das ein Skandal, den man eigentlich keinen einzigen weiteren Tag lang hinnehmen dürfte und mit den gleichen notrechtlichen Massnahmen, die man zur Sanierung maroder Banken ergreift, aus der Welt geschafft werden müsste. Umweltpolitik und Sozialpolitik dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, alles gehört mit allem zusammen. Genau so, wie es der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: “Was alle angeht, können nur alle lösen.” Oder, in Abwandlung jenes berühmten Zitats des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt, wonach Frieden zwar nicht alles sei, aber alles nichts sei ohne den Frieden: Auch die soziale Gerechtigkeit ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts.