Ohne Wut wird sich nichts ändern, aber handeln müssen wir aus Zärtlichkeit…

 

Geht es nur mir so oder empfinden das andere gleich? Allenthalben scheint in politischen Auseinandersetzungen ein immer rauerer Ton zu herrschen, immer härtere gegenseitige Beschuldigungen, immer weniger Bereitschaft sich gegenseitig zuzuhören, immer mehr Hass. Angefangen hatte es wohl schon lange vor dem Beginn der Coronapandemie, hatte aber wohl in dieser Zeit deutlich zugenommen, sich in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen und des drohenden Klimawandels weiter zugespitzt und mit dem Ukrainekonflikt eine weitere drastische Verschärfung angenommen. Dabei dringt buchstäblich die hässlichste Seite des Menschen immer stärker an die Oberfläche: der Hass. Längst scheint es in vielen Auseinandersetzungen nicht mehr um die Sache zu gehen und darum, gemeinsame Lösungen zu finden, sondern bloss noch darum, den “Gegner” fertigzumachen, indem man ihm seine eigenen Worte im Munde umdreht, ihn einer zuvor bestimmten “Hasskategorie” zuordnet und sich selber als das “Gute” und den anderen als das “Böse” darstellt.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich sage nicht, dass man nicht kritisch sein soll. Ich sage auch nicht, dass man nicht kämpfen soll. Ich sage nur, dass man nicht hassen sollte. Denn Hass löst nie ein Problem. Hass reisst nur Gräben auf, schafft Fronten, entzweit die Menschen voneinander, führt stets zu Verhärtungen und bringt nie echten Fortschritt. Hass ist die Fortsetzung des Kriegs mit weniger tödlichen, aber dennoch zerstörerischen Folgen, Krieg im Kleinen.

Wer sich für echte, radikale Veränderungen einsetzen will, muss nicht zum Instrument des Hasses greifen, sondern zum Instrument der Liebe. Die Liebe ist unendlich viel wirkungsvoller als der Hass. “Auf der Welt gibt es nichts, was weicher und dünner ist als das Wasser”, sagte der chinesische Philosoph Laotse vor über 2500 Jahren, “doch um Hartes und Starres zu bezwingen, kommt nichts diesem gleich. Das Weichste in dieser Welt überwindet das Härteste.” Und der deutsche Liedermacher Konstantin Wecker sagte: “Ohne Wut wird sich nichts ändern. Aber handeln müssen wir aus Zärtlichkeit.” Ja, die Wut und die Empörung über soziale Missstände, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt sind die unentbehrlichen Antriebskräfte zu dauerhaften Veränderungen. Aber der Weg zur Veränderung darf nicht ein Weg des Hasses sein, er muss ein Weg der Liebe sein. Selbst Nelson Mandela, der 30 Jahre lang im Gefängnis sass und allen Grund zu Hass gehabt hätte, sagte: “Niemand wird geboren, um andere Menschen zu hassen. Der Hass wird den Menschen beigebracht, aber ebenso kann ihnen auch die Liebe beigebracht werden.” 

Die Liebe stellt die Dinge auf den Kopf. Sie ist das Geheimnis, das den “Feind” zum Freund werden und uns erkennen lässt, dass wir alle auf der gleichen Erde leben und es, wie Martin Luther King sagte, nur ein gemeinsames Überleben oder einen gemeinsamen Untergang gibt, aber nichts dazwischen. Dieser Tage, und dies war wohl auch der Auslöser meines Artikels, schickte mir eine 14jährige Schülerin eine Kurzgeschichte, die sie für ein Schreibprojekt verfasst hatte. In ihrem Text befasst sie sich mit der Liebe. Ein Junge namens Leon hatte herausgefunden, dass Liebe im Alltag mehr zu bewirken vermochte als Hass: “Leon hatte begriffen, dass Liebe etwas vom Wichtigsten auf der Welt ist. Wenn alle Menschen Liebe in sich tragen würden, gäbe es all diesen Hass, diese Verbitterung und diese Kriege gar nicht mehr. Und zum ersten Mal hatte er verstanden, dass es wirklich Sinn macht, auch seine Feinde zu lieben.” Was die heute 14Jährige in 30 oder 40 Jahren über die heutige Zeit und all die Wirrnisse, in die wir uns verstrickt haben, wohl denken wird?