Von den “Negern” bis zu den “Menschen mit dunklerer Hautfarbe” – so lange wir nur die Sprache ändern, nicht aber die dahinterliegenden Macht- und Ausbeutungsverhältnisse, ist noch lange nichts gewonnen…

 

“Was darf man noch sagen?”, fragt die “Sonntagszeitung” am 14. Mai 2023. Im folgenden Artikel werden Beispiele sogenannt “schädlicher” Wörter aufgeführt, wie sie unter anderem von amerikanischen Eliteuniversitäten publiziert werden, weil sie eine “rassistische”, “sexistische” oder “verletzende ” Bedeutung haben sollen. Aber auch im deutschsprachigen Raum ist noch nie so heftig wie heute über die politisch korrekte Wahl von Wörtern und Begriffen gestritten worden. Ein Beispiel: Wurde das Wort “Neger” zunächst durch das Wort “Schwarze” ersetzt, so war auch dies wiederum nur von kurzer Dauer. Heute spricht man von “Farbigen” oder “Dunkelhäutigen”. Doch auch diese Bezeichnung wird wohl bald schon der Vergangenheit angehören. So soll aufgrund seiner “kolonialistischen und diskriminierenden Bedeutung” der Begriff “dunkelhäutig” gemäss einer neuen Richtlinie der Berliner Polizei durch “Personen mit dunklerer Hautfarbe” abgelöst werden.

Das Beispiel der “Neger”, die neuestens “Personen mit dunklerer Hautfarbe” sind, zeigt, stellvertretend für viele andere, dass es sich beim Ansinnen, diskriminierende Begriffe durch weniger diskriminierende zu ersetzen, um ein Fass ohne Boden handelt. Denn früher oder später wird garantiert wieder jemand ein Haar in der Suppe finden . Und das ist sogar ganz einfach. Etymologisch stammt das Wort “dunkel” nämlich vom mittelhochdeutschen “tunkel” ab, was so viel bedeutet wie “trübe”, “gedämpft”, “schwer”, “verworren” und “schwer durchschaubar”. Wohl allzu lange wird sich also der Begriff “Personen mit dunklerer Hautfarbe” nicht halten können. Wir dürfen wohl gespannt sein, was danach folgen wird. Vermutlich wird der neue Begriff nicht ohne eine noch längere Satzkonstruktion mit möglicherweise einem zusätzlichen oder gar mehreren Nebensätzen auskommen.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich wehre mich nicht gegen das kritische Hinterfragen bestehender Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen. Aber man kann den Bogen auch überspannen. Die Problematik der Diskriminierung ist nicht vor allem eine Sache der Sprache, sondern der dahinterliegenden Realität. Da können alte Wörter noch so eifrig durch neue ersetzt werden – so lange sich an den Werthaltungen, die damit verbunden sind, nichts ändert, ist rein gar nichts gewonnen. Man kann eine “Person mit dunklerer Hautfarbe” genau so erniedrigend behandeln wie einen “Neger”. Im Gegenteil, das neue Wort kann sogar von rassistischem Verhalten ablenken, es verharmlosen, beschwichtigen und als Alibi dafür dienen, dass man scheinbar – aber eben nur oberflächlich – früheres, verwerfliches Verhalten überwunden hätte. Vor allem aber lenkt die “Wortklauberei” von den tatsächlichen diskriminierenden Machtverhältnissen ab, zum Beispiel von der kolonialistischen Ausbeutung Afrikas, die in Form höchst ungerechter Handelsbeziehungen bis zum heutigen Tag andauert. Da nützt es dann den ausgebeuteten Afrikanerinnen und Afrikanern auf den Kakaoplantagen, in den Ölfeldern und Goldminen herzlich wenig, wenn wir sie nicht mehr herablassend als “Neger” bezeichnen, sondern, grosszügigerweise, als “Menschen mit dunklerer Hautfarbe”. Fazit: Wir müssen in erster Linie die Machtverhältnisse ändern, nicht die Sprache. Wenn sich die Machtverhältnisse ändern, dann ändert sich die Sprache ganz von selber.

Vor allem aber schafft eine übertriebene, ausufernde Wortklauberei zugunsten angeblich “politischer Korrektheit” genau das, was sie zu überwinden verspricht: neue Formen von Diskriminierung. Diskriminiert werden nun nicht mehr “Neger”, “Indianer” oder “Homosexuelle”, sondern jene Menschen, welche sich nicht den neuen Sprachregeln unterwerfen oder diese sogar in Frage stellen. Und so werden dort, wo man alte Gräben zuzuschütten versucht, bloss wieder neue Gräben von Missachtung und Hass aufgerissen. Ja, man sollte unbedingt traditionelle sprachliche Verhaltensweisen kritisch hinterfragen. Aber das ist nur eine halbe Sache, wenn man nicht gleichzeitig auch die dahinterliegenden Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse einer kritischen Überprüfung unterzieht. Sonst würden wir uns in der Illusion wiegen, allein schon durch das Austauschen von alten durch neue Wörter bessere Menschen geworden zu sein.