Viertagewoche für Coiffeusen und Coiffeure: Doch zu welchem Preis?

 

Rudolf Minsch, Chefökonom von Economiesuisse, steht der Einführung einer 4-Tage-Woche für Coiffeusen und Coiffeure kritisch gegenüber – so berichtet der “Tagesanzeiger” am 15. Mai 2023. Minsch begründet seine Ansicht so: “Eine Coiffeuse kann die Menge an Haarschnitten pro Tag nicht erhöhen. Eine Reduktion auf vier Tage hätte zur Konsequenz, dass sie pro Tag rund zwei Stunden mehr arbeiten müsste, um dasselbe Arbeitsvolumen zu bewältigen. Würde man aber die Löhne bei weniger Arbeit konstant halten, müssten die Preise um 20 Prozent steigen. Gerade für kleine und mittelgrosse Unternehmen würde die Rechnung nicht aufgehen.” Womit Minsch nicht ganz Unrecht haben dürfte, wie das Beispiel der Coiffeurkette Adesso Hair Design zeigt, wo die 4-Tage-Woche bereits eingeführt worden ist. “Voraussetzung ist”, so Geschäftsführer Graziano Cappilli, “dass die Angestellte die Mindesterwartungen gemäss Gesamtarbeitsvertrag in Sachen Umsatz erfüllen kann. Sie muss demnach auf einen Kundenstamm zurückgreifen können, mit dem sie mindestens zweieinhalb mal den im Vertrag verankerten Mindestlohn von gut 4000 Franken einbringen kann. Setzt sie mehr um, beteiligt sie der Chef am Umsatz. Zur Belohnung hat sie einen Tag pro Woche mehr frei.” Erst fünf Coiffeusen, ein Zehntel der gesamten Belegschaft, haben sich für dieses Modell entschieden. Das ist weiter nicht verwunderlich, steigert sich der Zeit- und Arbeitsdruck für jene, die sich einen zusätzlichen freien Tag “erkämpfen” wollen, doch ganz erheblich: Die Leerzeiten, die üblicherweise 20 bis 30 Prozent der Arbeitszeit ausmachen, fallen vollständig weg, die Coiffeuse ist gezwungen, Tätigkeiten wie das Färben und Waschen an Kolleginnen zu delegieren, sodass sie bis zu drei Kundinnen oder Kunden gleichzeitig bedienen kann. Erholungszeiten wie auch die Mittagspausen, Zeiten für Austausch und womöglich auch Zeiten für Aufräumen oder sonstige Tätigkeiten werden somit auf ein Minimum reduziert. Zudem kann das alles nur funktionieren, wenn eine Coiffeuse auf einen festen Kundenstamm zurückgreifen kann, was sich vor allem für neue und jüngere Angestellte negativ auswirkt und den Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusätzlich beflügelt, die sich nun gegenseitig mit allen Mitteln Kundinnen und Kunden abzujagen versuchen. Ganz und gar keine Freude an diesem Modell hat daher auch die Gewerkschaft Unia: “Eine Reduktion der Arbeitszeit darf klar nicht dazu führen, dass das gleiche Pensum in weniger Zeit unter noch grösserem Druck erledigt werden muss. Es kann nicht sein, dass Angestellte für Umsatz sorgen müssen, das ist Teil des unternehmerischen Risikos des Arbeitsgebers und darf nicht auf die Angestellten abgewälzt werden.”

Das Beispiel zeigt, dass Reformen innerhalb des kapitalistischen Ausbeutungs- und Profitmaximierungssystems nur bedingt möglich sind bzw. sich für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sogar negativ auswirken können. Hauptursache dafür ist das, man kann fast schon sagen “heilige” Konkurrenzprinzip: Demzufolge stehen sämtliche Unternehmen der jeweiligen Branche in einem permanenten, knallharten gegenseitigen Konkurrenz- und Verdrängungskampf. Sollen zusätzliche Kundinnen und Kundinnen gewonnen werden, und dies ist freilich das Ziel jedes Unternehmens, dann geht das nur in der Weise, dass man tiefere Preise als die Konkurrenz anbietet. Dies wiederum kann nur erreicht werden durch tiefere Löhne und indem man die Angestellten wie Zitronen auspresst, bis auch noch der letzte Tropfen gewonnen ist. Dass Coiffeusen und Coiffeure mit Monatslöhnen von nicht einmal 4000 Franken mit zu den am schlechtesten entlöhnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehören, ist kein Zufall, sondern die ganz logische Folge dieses kapitalistischen Konkurrenzprinzips.

Daher kann eine effektive Lösung des Problems nur darin bestehen, dass dieses kapitalistische Konkurrenzprinzip ausgehebelt wird. Dies würde bedeuten, dass sich die einzelnen Coiffeursalons und Coiffeusenketten nicht mehr als gegenseitig ums Überleben kämpfende Raubtiere verstehen würden, sondern als Verbündete im gemeinsamen Kampf für eine qualitativ hochstehende Dienstleistung, die ihren echten Preis haben muss. Ein Preis, der höchstens nach oben, nicht aber nach unten unterboten werden dürfte, sodass auch eine Coiffeuse und ein Coiffeur einen genug hohen Lohn bekäme, um sich auch ohne knallharten Zeit- und Arbeitsdruck einen wohlverdienten dritten arbeitsfreien Tag leisten zu können. Denn die tatsächlich echte Qualität einer Arbeit darf nicht nur in der Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden liegen, sondern vor allem auch in der Zufriedenheit jener Menschen, welche diese Leistung erbringen.