Die EU und die “Flüchtlingskrise”: Eine tiefgreifende Lösung des Flüchtlingsproblems ist nur möglich durch eine Überwindung des Kapitalismus…

 

Die EU-Mitgliedstaaten konnten sich am 8. Juni 2023 auf die Konturen einer gemeinsamen zukünftigen Flüchtlingspolitik einigen. “Die EU”, so schreibt der “Tagesanzeiger” am 10. Juni 2023, “will an den Aussengrenzen für Migrantinnen und Migranten ein härteres Regime einführen und gleichzeitig Asylsuchende mit Bleiberecht unter den Mitgliedsstaaten fairer verteilen.” Konkret sollen “Schnellverfahren in Erstaufnahmeländern für Migrantinnen und Migranten mit geringen Chancen” eingeführt und zu diesem Zweck 30’000 Plätze eingerichtet werden. Doch bleibe weiterhin unklar, was mit jenen Migrantinnen und Migranten geschehen solle, die einen negativen Bescheid bekämen.

Was schon als “Durchbruch” gefeiert wird, ist doch, bei Lichte besehen, nichts anderes als reine Symptombekämpfung. Denn allen diesen Massnahmen zum Trotz, werden die Flüchtlingsströme vom Süden in den Norden gewiss auch zukünftig nicht abreissen, sondern eher noch zunehmen. Die Kriterien, wer ein Bleiberecht bekommen soll und wer nicht, werden weiterhin höchst unterschiedlich bleiben und die Frage, was mit all jenen Migrantinnen und Migranten geschehen soll, die kein Bleiberecht bekommen, wird weiterhin ungelöst sein. Solange nicht endlich die Ursachenbekämpfung anstelle der Symptombekämpfung in Angriff genommen wird, kann das Problem nicht gelöst werden und wird sich in Zukunft eher noch weiterhin verschärfen.

Doch welches sind die hauptsächlichen Ursachen dafür, dass Menschen ihre Heimat verlassen, um in einem fernen, unbekannten Land eine bessere Zukunft zu finden? Erstens die soziale und wirtschaftliche Kluft zwischen reichen und armen Ländern. Jahrhunderte kolonialistischer Ausbeutung haben bis in die heutige Zeit ihre verheerenden Spuren hinterlassen. Immer noch gründet der Wohlstand in den reichen Ländern des Nordens zu einem überwiegenden Teil auf der Tatsache, dass billig und zu Hungerlöhnen produzierte Nahrungsmittel und Rohstoffe aus dem Süden in den Norden exportiert und dort zu teuren Fertigprodukten weiterverarbeitet werden. So erwirtschaftet beispielsweise die Schweiz gemäss Angaben der Entwicklungsorganisation Oxfam im Handel mit “Entwicklungsländern” einen fast 50 Mal höheren Gewinn, als sie diesen Ländern in Form von “Entwicklungshilfe” wieder zurückgibt. Alle multinationalen Konzerne, welche dank dem Handel mit Nahrungsmittel und Rohstoffen Milliardengewinne scheffeln, haben ihren Sitz Im Norden, keiner von ihnen im Süden, dort, wo all die gewinnbringenden Nahrungsmittel und Rohstoffe herstammen. Wie die Mücken ans Licht, so drängen die Menschen aus dem ausgebluteten Süden in die Wohlstandsparadiese des Nordens, dies alles zusätzlich befeuert durch Massenmedien, Internet und soziale Medien, wo weltweit tagtäglich das Bild einer Welt gezeichnet wird, wo Milch und Honig fliessen, alle Menschen mit Autos unterwegs sind und Millionäre und Milliardäre nur so aus dem Boden schiessen.

Die zweite Ursache für die wachsenden Flüchtlingsströme sind Kriege, derzeit weltweit über 20 an der Zahl, der wohl unmittelbarste und drängendste Grund dafür, die geliebte Heimat zu verlassen und in einem anderen Land Schutz und Sicherheit zu suchen. Schliesslich die dritte Ursache: der Klimawandel. Schon heute leiden Hunderte von Millionen von Menschen unter zunehmender Hitze, Dürren und Überschwemmungen. Und es ist zu befürchten, dass auch weiterhin immer mehr bisherige Lebensräume für immer verloren gehen werden, was die Menschen dazu zwingt, dorthin auszuweichen, wo noch eine einigermassen gesicherte Existenz möglich ist.

Schauen wir uns die drei Hauptursachen für die wachsenden Flüchtlingsströme genauer an, dann stellen wir unschwer fest: Sie alle sind eine unmittelbare Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Eines Wirtschaftssystems, das auf die unaufhörliche Ausbeutung von Mensch und Natur, Profitmaximierung und Wachstum ausgerichtet ist und weltweit zu zu immer drastischeren sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Zerstörungen führt. Auch Kriege haben meist ihren Ursprung im Streben nach Machtausdehnung, wirtschaftlicher Ausbeutung und Einverleibung gewinnbringender natürlicher Ressourcen. “Der Kapitalismus”, so der französische Sozialist Jean Jaurès, “trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.” 

Es wäre daher die reinste Illusion, das Flüchtlingsproblem dadurch in den Griff bekommen zu wollen, dass man Grenzen schliesst, Grenzkontrollen verschärft und immer effizientere Massnahmen ergreift, um “richtige” und “falsche” Flüchtlinge voneinander zu unterscheiden. Eine tiefgreifende Lösung des Flüchtlingsproblems ist nur möglich durch eine Überwindung des Kapitalismus, weltweite soziale Gerechtigkeit und ein Ende aller Kriege. Denn kein Mensch verlässt freiwillig seine Heimat, wenn er dort, wo er geboren wurde, in Frieden, Sicherheit und Wohlstand leben kann. Wie die 150 Tier- und Pflanzenarten, die Tag für Tag aussterben, und die rund zehntausend Kinder, die weltweit jeden Tag vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs sterben, weil sie nicht genug zu essen haben,, während sich die Menschen im Norden den Luxus leisten können, einen Drittel aller gekauften Lebensmittel fortzuwerfen, so sind auch die unzähligen Flüchtlinge, die an unsere Türen klopfen, allesamt Alarmzeichen einer Welt, die aus allen Fugen geraten ist. Wie viel Leiden braucht es eigentlich noch, bis uns endgültig die Augen dafür aufgehen, dass es auf diesem Planeten nur eine einzige glaubwürdige Zukunftsvision geben kann, nämlich, alle Formen von Ausbeutung zu überwinden und alles unter alle gerecht zu verteilen?