«Nur» Verkäuferin?

Es ist Samstagabend, 19 Uhr, H & M. Ohne Unterbruch hängen die Verkäuferinnen Blusen zurück an die Stange, stapeln Kappen, ordnen Pullover nach Grösse und Farbe. Bis der nächste Kunde, die nächste Kundin den untersten Pullover hervorzerrt. Eine Arbeit ohne Ende. «Eigentlich», sagt S.K., «sind wir keine Menschen. Nur Inventar. Ich habe inzwischen fast eine Art Menschenhass entwickelt. Vielleicht ist das zu hart formuliert, aber ja, man wird abschätzig behandelt. Die Leute haben keinen Respekt. Uns gegenüber, den Kleidern gegenüber. Viele Kundinnen und Kunden lassen Berge von Kleidern in den Kabinen zurück, treten vielleicht doch drauf rum. Bittet man sie, die Kleider herauszureichen, sagen sie, das sei mein Job. Ich habe schon gehört, dass ein Kunde zum anderen sagte: Schau, dass du eine gute Ausbildung bekommst. Nicht, dass du als Verkäuferin endest. Und ich stand daneben. Nach der Schule hätte ich Optikerin werden wollen, aber meine Noten waren zu schlecht. Der Berufsberater fragte meine Mutter: Stört es Sie nicht, wenn Ihre Tochter nur Verkäuferin wird? Dieser Satz ist mir geblieben. Meine Kinder sollen etwas Besseres lernen. Mit mehr Anerkennung, mehr Lohn.»

(Tages-Anzeiger, 20. Dezember 2018)

«Nur» Verkäuferin? «Nur» Servicefachangestellte? «Nur» Fabrikarbeiter? «Nur» Kehrichtmann? «Nur» Coiffeuse? Das Verrückte daran ist, dass es hier allesamt um gesellschaftlich und wirtschaftlich überaus wichtige Tätigkeiten handelt. Wäre niemand bereit, sie auszuüben, würden ganze Wirtschaftssegmente wie Kartenhäuser in sich zusammenbrechen. Dennoch mangelt es ihnen an gesellschaftlicher Anerkennung und, damit verbunden, einem fairen Lohn. Wahrscheinlich könnte das tatsächlich nur durch die Einführung eines Einheitslohns – verbunden mit einer gleichwertigen gesellschaftlichen Wertschätzung sämtlicher beruflicher Tätigkeiten – nachhaltig geändert werden.