Am Ende bleibt ein einziger lebendiger Mensch…

Es gibt keine Kassen im Amazon-Go-Laden in San Francisco. Stattdessen stehen Schranken im Eingangsbereich, die sich erst öffnen, wenn man einen QR-Code aus der Smartphone-App auf einen Scanner hält. Unzählige Videokameras an der Decke folgen einem fortan auf Schritt und Tritt. Gewichtssensoren in den Regalfächern erfassen, was man herausnimmt: ein Sandwich aus der Kühltheke, Nudeln aus dem Regal oder eine Tiefkühlpizza aus der Gefriertruhe – das typische Sortiment eines Kleinladens im Finanzdistrikt. Im Hintergrund trällert Pop-Musik. Der Amazon-Go-Laden in San Francisco ist einer von sieben kassenlosen Supermärkten, die der Online-Händler seit Januar 2018 in den USA eröffnet hat. Weitere Niederlassungen sollen in den kommenden Wochen in San Francisco und New York entstehen; laut der Agentur Bloomberg plant Amazon insgesamt 3000 Filialen bis zum Jahr 2021. Wie die Technologie funktioniert, erklärt das Unternehmen auf Nachfrage nicht im Detail. Bekannt ist nur, dass Kameras ein dreidimensionales Bild jedes Kunden schaffen und ihm mithilfe von künstlich intelligenten Kameras («computer vision») und Sensoren durch den Laden folgen. Die Go-Läden sind ein wichtiger Baustein in Amazons Wachstumsstrategie, sagt die Analytikerin Sucharita Kodali von Forrester Research. Der Konzern macht derzeit den Löwenanteil seines Umsatzes von jährlich 178 Mrd. $ mit Cloud-Lösungen und ist im Online-Handel während zwanzig Jahren zum Riesen gewachsen – doch in der physischen Welt ist Amazon ein Zwerg, und dort geschieht nach wie vor das Gros aller Verkäufe. Mit Buchhandlungen, den Whole-Foods-Supermärkten und nun den Go-Läden sammelt der Konzern Erfahrung in der realen Welt. «Amazon experimentiert gerne drauflos und schaut, was passiert», sagt Kodali. Auf diese Weise könne Amazon schrittweise seine Marktstellung in der realen Welt ausbauen. Aus Kundensicht sind kassenlose Supermärkte attraktiv, weil sie die Einkaufszeit verkürzen. Doch die grössten Vorteile gebe es für die Händler, sagt die Analytikerin Joliet: «In den Daten liegt das Gold versteckt», sagt sie. Wenn jeder Schritt des Kunden erfasst würde, könnten die Händler viel schneller verstehen, was in ihrem Laden geschehe – und Produkte entsprechend anders aufstellen, nachbestellen oder die Preise anpassen. Auch Diebstahl lasse sich so vermeiden. Und die Echtzeitinventur werde einfacher, sagt Joliet – für viele Unternehmen sei das allein ein riesiger Vorteil, weil ihnen durch fehlerhafte Inventarlisten Umsätze entgingen. Die Masse an Kundendaten gilt bis anhin als ein Vorteil, den der digitale Handel gegenüber physischen Geschäften hat. Der Online-Händler Amazon weiss genau, welche Produkte ein Kunde sucht, wie lange er beim Einkaufen zögert und auf welchen anderen Internetseiten er danach schaut. Die kassenlose Technologie macht diesen Nachteil für physische Läden wett, indem der Händler erfährt, wie sich der Kunde im Laden bewegt, welche Produkte er kauft – und welche doch nicht. Hersteller könnten den Kunden bald in Echtzeit Rabatte vorschlagen, um sie noch im Supermarkt umzustimmen. Der Analytiker Sorrell sieht den grössten Vorteil in den eingesparten Personalkosten. Die initialen Fixkosten würden sich schnell amortisieren, glaubt er, schliesslich würde Technologie erfahrungsgemäss rasant billiger. Zudem könnten Händler den Platz, den sie früher für Kassen verwendeten, dazu nutzen, ein grösseres Produktesortiment anzubieten. Durch die eingesparte Fläche im Kassenbereich könnten manche Händler womöglich auch in kleine Geschäfte ziehen. Der grosse Verlierer der jüngsten Revolution werden niedrig qualifizierte Angestellte sein – schon wieder. Verkäufer und Kassierer zählen zu den gängigsten Berufen in Amerika. In den kassenlosen Supermärkten in San Francisco braucht es jedoch nur noch Personal, um die Regale aufzufüllen – und auch das dürften wohl eines Tages Roboter übernehmen. Eine im Frühjahr 2017 veröffentlichte Studie von Cornerstone Capital Group hat gezeigt, dass in den nächsten zehn Jahren bis zu 7,5 Mio. Stellen im Einzelhandel der Automatisierung zum Opfer fallen könnten. Kassierer zähle dabei zu den am einfachsten zu ersetzenden Berufen, schreiben die Autoren. Dies dürfte vor allem Frauen treffen – 73% des Verkaufspersonals sind laut der Studie weiblich.

(Marie-Astrid Lenger in: www.nzz.ch)

So wird der Mensch nach und nach überflüssig. Und immer mehr wird alles zu einer Riesenmaschine, an deren Steuerknüppel irgendwann am Tage X nur noch ein einziger lebendiger Mensch sitzen wird, der alles steuert. Schöne neue Welt…