Was treibt im Kapitalismus den «Fortschritt» voran?

«Mit der 5-G-Technologie, dem nächsten Entwicklungsschritt, wird ein Smartphone ca. 100 Mal schneller sein und 1000 Mal mehr Kapazität aufweisen als ein Gerät mit der heutigen 4-G-Technologie, zum Beispiel kann dann eine DVD in etwa zwei Sekunden heruntergeladen werden. Neueste Smartphones sind mit 5-6 Kameras ausgestattet, damit können nicht nur bessere und mehr Fotos aufgenommen werden, die Mehrfachkameras sind zudem so ausgerüstet, dass sie Bilder zerlegen und analysieren können: was für Essen kommt darin vor, was für Leute und wie viele sind anwesend, ist es Tag oder Nacht, usw. Der neueste Trend sind faltbare Smartphones. Und möglicherweise wird es schon in naher Zukunft Linsen geben, die man sich ins Auge stecken kann, um das Display des Smartphones bequemer lesen zu können.»

(SRF-Digitalredaktor Reto Widmer in der Sendung «10vor10» auf SRF1 am 3. Januar 2019)

Allen Ernstes: Man kann wohl kaum behaupten, dass diese und mögliche weitere, heute noch undenkbare Entwicklungsschritte des Smartphones besonders sinnvoll sind. Das meiste sind «Spielereien» oder Neuheiten, die von den meisten Nutzerinnen und Nutzern ohnehin nicht gebraucht werden. Doch wenn sie keinen Sinn macht, weshalb schreitet die Weiterentwicklung ungehindert und immer schneller voran? Die Antwort ist einfach: Es ist das kapitalistische Konkurrenzprinzip, das diesen «Fortschritt» antreibt. Wenn Firma X 5 Kameras in ihre Smartphones einbaut, dann muss Firma Y 6 Kameras einbauen. Wenn man mit einem Smartphone der Firma X eine DVD in zwei Sekunden herunterladen kann, dann muss Firma Y ein Smartphone entwickeln, das eine DVD in einer Sekunde herunterladen kann. Es ist das gleiche Konkurrenzprinzip, das auf allen Gebieten den «Fortschritt» vorantreibt: Wenn das Auto der Firma A einen adaptiven Geschwindigkeitsbegrenzer, eine aktive Einparkhilfe, einen Fahrspurassistenten, einen selektiven Fahrmodusschalter, eine Verkehrsschilderkennung, einen Notruf-Assistenten, eine Abstandskontrolle mit Distanzanzeige und einen Müdigkeitswarner hat, dann muss das Auto der Firma B dies alles auch haben und möglichst noch einiges dazu. Wenn Firma C einen Stoffhund auf den Markt bringt, der bellen, knurren und furzen kann, dann muss Firma D einen Stoffhund auf den Markt bringen, der zusätzlich noch fressen und kacken kann. Längst treibt das Konkurrenzprinzip, in dem jeder gezwungen ist, den anderen zu übertrumpfen und zu überholen, nicht mehr echten Fortschritt voran, sondern nur noch immer sinnlosere Spielerei, gepaart mit einer verheerenden Verschwendung an Rohstoffen und menschlichen Ressourcen. So gesehen hat der «Fortschritt» ein einigermassen vernünftiges Stadium längst überschritten und droht einer massvollen Kontrolle je länger je schneller zu entgleiten. «Fortschritt» wird so, im wörtlichen Sinne, zum «Fortschreiten» von einem Zustand, den man schon einmal erreicht hatte und der gar nicht so schlecht war.