Drohende Klassenjustiz

Die Gebühren für Gerichtsverhandlungen, so Rechtsprofessor Martin Pestalozzi, seien nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für Verbände so hoch, dass sie deren Existenz bedrohen. Ein Beispiel: Ein Dübendorfer wehrte sich vor dem Zürcher Baurekursgericht gegen den Gestaltungsplan für einen Innovationspark, und musste, nachdem er den Prozess verloren hatte, 50’000 Franken Gerichtsgebühren bezahlen. Solche horrenden Kosten widersprechen aber dem Willen des Gesetzgebers. So etwa heisst es in der Zürcher Kantonsverfassung, dass Gerichtsverfahren «wohlfeil» zu sein haben, also sehr günstig. Der emeritierte Rechtsprofessor kritisiert denn auch die hohen Gebühren: «Die Gerichtskosten führen zu einer Klassenjustiz.» Normalverdiener könnten sich das Prozessieren zunehmend nicht mehr leisten.

(Tages-Anzeiger, 10. Januar 2019)

Wer immer noch glaubte, wir lebten in einer demokratischen Gesellschaft gleichberechtigter Bürger und Bürgerinnen, müsste sich spätestens jetzt eines Besseren belehren lassen. Kosten für Gerichtsverfahren sind nur eines von unzähligen Beispielen für eine Klassengesellschaft, in der «oben» und «unten» je länger je mehr auseinanderdriften. Dass sich hier eine Praxis etabliert hat, die ganz klar die Verfassung verletzt, scheint achselzuckend hingenommen zu werden. Was aber ist eine Demokratie wert, für welche die Verfassung als Grundlage aller Gesetze und Bürgerrechte nicht ohne Wenn und Aber zu gelten hat? Und weshalb spricht man in diesem Zusammenhang nur von «Normalverdienern», die sich das Prozessieren nicht mehr leisten könnten? Sind die Schlechtverdienenden schon so wenig wert, dass man sie nicht einmal mehr erwähnt?