China: Jagd auf die Armen als Volkssport

China betritt mit einem Schuldenpranger über das Smartphone neue Dimensionen: Eine App zeigt auf einer Karte Menschen mit ausstehenden Schulden an. Die Handy-Nutzer werden zum Spitzeln aufgefordert. Die App, die das Provinzgericht der nordchinesischen Provinz Hebei vorstellte, zeigt auf einer Karte an, wo sich im Umkreis von 500 Metern Menschen mit ausstehenden Schulden befinden. Gemäss der Zeitung «Chinadaily» wurden die Smartphone-Nutzer dazu aufgefordert, sich als Spitzel zu betätigen. Der Pranger soll dem Staat helfen, verschuldete Personen anzuzeigen, die eigentlich Geld hätten. Die Bürgerspitzel sind aufgefordert, eine Meldung zu machen, wenn ein Schuldner etwa teure Möbel anschafft oder luxuriös essen geht. Damit das «Verpfeifen» einfacher sei, könnten Informationen über die Schuldner auf der App eingesehen werden, schreibt die Zeitung weiter. «Diese App ist als eine unserer Massnahmen zu sehen, um ein sozial glaubwürdiges Umfeld zu schaffen», lässt sich ein Sprecher des Provinzgerichts zitieren. Der chinesische Überwachungsstaat machte bereits letztes Jahr mit Schuldenprangern Schlagzeilen. Die Provinz Anhui forderte etwa dazu auf, Fotos von Schuldnern ins Internet zu stellen.

Jede kapitalistische Gesellschaft – ob in der Schweiz oder in China – produziert Arme und Reiche, Verlierer und Gewinner. Fragt man sich, woher der Reichtum der Reichen kommt, dann gelangt man, auf welchem Weg auch immer, zum gleichen Schluss: Das Geld der Reichen ist gestohlenes Geld. In einer gerechten Gesellschaft wären nämlich alle Menschen gleich reich bzw. gleich arm. Wenn nun ein Teil der Gesellschaft reicher ist als der Durchschnitt, dann ist diese Differenz schlicht und einfach das, was auf der anderen, der ärmeren Seite des Durchschnitts fehlt. Zur Rechtfertigung ihres überdurchschnittlichen Reichtums ist den Reichen jede noch so weit hergeholte Lüge recht: Zum Beispiel, vier-, fünf- oder zehnfach höhere Löhne als der Durchschnittslohn seien durch «längere Ausbildung», «höhere Qualifikation» oder «grössere Verantwortung» zu rechtfertigen. Oder, geerbtes Geld sei genau so legitim wie durch Arbeit erwirtschaftetes Geld. Oder: Zinsen auf Kapital, Aktien oder Obligationen sei etwas Gottgegebenes. Tatsächlich also sässen die Reichen auf der Anklagebank. Um Gerechtigkeit zu schaffen, müssten sie alles Geld, das über dem durchschnittlichen Einkommen und Vermögen liegt, der Gesellschaft bzw. den Ärmeren zurückgeben. Die kapitalistische Gesellschaft aber verkehrt alles ins Gegenteil: Beobachtet, verfolgt, registriert, gejagt, angeklagt werden nicht die Reichen, sondern die Armen. Das ist nichts weniger als eine Form von Krieg. Krieg der Reichen gegen die Armen. Krieg der Ausbeuter gegen die Ausgebeuteten. Diese werden gleich dreifach bestraft und gedemütigt: Zuerst, indem man ihnen unterdurchschnittlich tiefe Löhne zahlt, obwohl sie zum aller grössten Teil schwerste und verantwortungsvollste Arbeit leisten. Zweitens, indem sie folglich kein Vermögen bilden, kaum erben und nirgends Geld gewinnbringend anlegen können. Drittens, indem sie zu potenziellen Betrügern gestempelt und durch Behörden und Gesellschaft beobachtet, verfolgt und gejagt werden. In China wird das mittlerweile auf die Spitze getrieben. Aber wer verspricht, das Beispiel Chinas könnte nicht bald schon weltweit Schule machen? Mit der Zulassung von Sozialdetektiven ist ja auch die Schweiz schon auf dem besten Wege dazu…

Jeder Nachbar oder Mitpassagier kann sich in der chinesischen Provinz Hebei als Spitzel betätigen.

Der Messenger-Dienst WeChat ist die meistgenutzte Handy-App Chinas.

Die Bevölkerung in China ist aufgefordert, dem Staat beim Schuldenpranger mitzuhelfen.

Auf dem der Smartphone-App werden Schuldner im Umkreis von 500 Metern angezeigt.