Auf den Spuren der Französischen Revolution

Die Bewegung der Gilets jaunes überstand die besinnliche Weihnachtszeit und den Wintereinbruch. Weiterhin ziehen jeden Samstag Menschen in gelben Warnwesten durch Frankreichs Metropolen. Die Gilets jaunes zeigen eine Ausdauer, mit der kaum jemand gerechnet hat. Hélène Miard-Delacroix, Professorin an der Universität Sorbonne, sagt: «Was Frankreich derzeit erlebt, ist für ganz Europa eine Warnung.» Die Gelbwesten protestieren gegen etwas, das auch Menschen in anderen europäischen Ländern umtreibt: ein diffuses Gefühl, von den Mächtigen und Reichen abgehängt worden zu sein. Für Miard-Delacroix vereint die Sammelbewegung der Unzufriedenen eine einfache Formel: «Sie wollen Gerechtigkeit.»

(SRF, 2. Februar 2019)

Gerechtigkeit ist das Schlüsselwort. Je ungerechter Macht und Reichtum in einer Gesellschaft verteilt sind, umso grösser die Wut der «einfachen» Bürgerinnen und Bürger gegen die herrschende Machtelite. Dies zeigt sich in Frankreich gerade in besonders ausgeprägtem Masse. Dieses Dilemma lässt sich indessen nur lösen, wenn die kapitalistische Klassengesellschaft überwunden wird. So lange dies nicht geschieht, bestehen politische Wahlen stets nur in einer Machtübergabe von der einen zur nächsten Machtelite – und jedes Mal ist das «einfache» Volk umso enttäuschter, hat es doch mit dem Regierungswechsel eine bessere, gerechtere Gesellschaft erhofft. So ist auch die anhaltende Wut der Gelbwesten zu erklären und ihre Aktivitäten dürften eigentlich nicht aufhören, bevor nicht eine neue, nichtkapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung Wirklichkeit geworden ist, in der es kein «oben» und «unten» mehr gibt, keine Privilegien der einen auf Kosten der anderen und kein unterschiedliches Ansehen aufgrund des Berufs, der Bildung oder der Lebensweise.