Sozialistische Revolution innerhalb des Kapitalismus?

Alexandria Ocasio-Cortez, 29, Anwärterin auf die US-Präsidentschaftswahlen 2020, will nichts weniger als eine «sozialistische Revolution». Und sie stösst mit ihren Forderungen bei einer breiten Bevölkerung auf Anklang. So etwa stimmen ihrer Forderung, Reiche mit einem Einkommen von über 10 Millionen Dollar mit 70 Prozent zu besteuern, 59 Prozent der US-Amerikaner und -Amerikanerinnen zu. Weiter fordert AOC, wie Alexandria Ocasio-Cortez von ihren Fans genannt wird, der Staat solle bis 2030 den Ausstoss von Treibhausgasen auf netto null reduzieren. Dazu müsse die gesamte Energieerzeugung, der Verkehr und die Landwirtschaft von Grund auf umgebaut werden. Der Staat müsse Mindestlöhne anheben, die Universität unentgeltlich machen, ein öffentliches Gesundheitssystem einführen sowie ein bedingungsloses Grundeinkommen auszahlen. Diese Forderungen lösten bei vielen Demokraten Schockwellen aus, nicht zuletzt wegen der Kosten, welche diese Massnahmen erfordern würden und sich gemäss der Agentur Bloomberg auf jährlich 8000 Milliarden Dollar beziffern würden. AOC musste aufgrund dieser Reaktionen ihr Programm wieder aus dem Netz nehmen. Entschuldigend meinte sie, es sei ja bloss der «Beginn eines Dialogs».

(NZZ am Sonntag, 17. Februar 2019)

Das Programm von AOC löst bei vielen Demokraten «Schockwellen» aus und AOC muss beschwichtigen: Das alles sei ja bloss der «Beginn eines Dialogs». Dass die von AOC geforderten Massnahmen Kosten von 8000 Milliarden Dollar verursachen würden, was aller Voraussicht nach nicht finanzierbar wäre, zeigt, wie eng der Spielraum «sozialistischer» Ideen innerhalb eines kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ist. Logischerweise also müsste AOC nicht weniger fordern, sondern mehr: Sie müsste nicht bloss die Zähmung des kapitalistischen Raubtiers fordern, sondern dessen Überwindung. Zumindest bei den 18- bis 29Jährigen wäre sie mit dieser Forderung in bester Gesellschaft, kann doch eine Mehrheit dieser Altersgruppe – aus einer Umfrage des Jahres 2011 – dem Begriff «Sozialismus» mehr abgewinnen als dem Begriff «Kapitalismus».