Das Gespenst von Alibaba

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst von Alibaba. Ende des vergangenen Jahres kündigte der chinesische Onlineriese an, am belgischen Flughafen Lüttich auf einer Fläche von 220’000 Quadratmetern ein gigantisches Logistikzentrum einzurichten. Eine Investitionssumme von umgerechnet 85 Millionen Franken hat Alibaba allein für den ersten Schritt vorgesehen. Dann folgte Anfang Januar die Übernahme des Berliner Start-ups Data Artisans für etwa 100 Millionen Franken. Und auch das Gerücht, Alibaba könnte den deutschen Onlinehändler Zalando übernehmen, hält sich hartnäckig… Vor allem als Logistikdienstleiter will Alibaba zum Weltmarktführer aufsteigen. Seit rund zwei Jahren ist Alibaba bereits Mehrheitseigner von Cainiao, einem Zusammenschluss mehrerer grosser Logistikunternehmen in China. Mit Cainiao verfolgt Alibaba das Ziel, Bestellungen aus der Volksrepublik binnen 24 Stunden weltweit zu ihren Zielen zu bringen. Doch auch das ist nur ein Zwischenschritt. Der Alibaba-Gründer Jack Ma spricht von «electronic World Trade Platform». Hinter diesem Begriff verbirgt sich das Ziel, eine Plattform zu schaffen, die Hersteller weltweit direkt mit den Endkunden zusammenbringt. Von allen Punkten der Welt sollen Pakete spätestens innerhalb von drei Tagen geliefert werden können… Das Logistikzentrum in Lüttich ist nur ein Drehkreuz von mehreren. Vergleichbare Stützpunkte hat Alibaba ausser seinem Unternehmenssitz im ostchinesichen Hangzhou auch in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur sowie in Ruanda errichten lassen. Ein weiteres Versandzentrum soll in Bulgarien entstehen. Mehr als 13 Milliarden Euro will Alibaba in den kommenden fünf Jahren für sein weltumspannendes Netz investieren. Oder wie es der Retail- und China-Experte Olaf Rotax bezeichnet: «ein digitales Pendant zur Welthandelsorganisation».

(Tages-Anzeiger, 26. Februar 2019)

Am einen Ort spricht man vom Klimawandel. Am anderen von einer Milliarde Menschen, die nicht genug zu essen haben. Am dritten Ort von einer immer gigantischere Ausmasse annehmenden atomaren Aufrüstung. Und am vierten Ort spricht man davon, dass Pakete von jedem Punkt der Erde an jeden anderen innerhalb von höchstens drei Tagen geliefert werden sollten. Eine zerrissene Welt. Eine verrückte Welt. Bräuchte es nicht dringendst so etwas wie eine «Weltregierung», die Wirtschaftliches, Politisches, Ökologisches und Gesellschaftliches in einen sinnvollen, menschenwürdigen und umweltbewussten Einklang bringen würde?