In der landwirtschaftlichen Tretmühle

Gemäss einer neuen Studie der Seco kommen hohe Lebensmittelpreise in der Schweiz nur zu einem geringen Teil den Bauern zugute. Die Studie zeigt vielmehr auf, dass diese hohen Preise in der Schweiz wenig mit der Landwirtschaft und viel mit dem Schweizer Handel zu tun haben. Der Anteil der Landwirtschaft an der inländischen Wertschöpfung beträgt zwischen 10 und 15 Prozent, während der Anteil des Handels bei 50 Prozent liegt. Im internationalen Vergleich kommen die Schweizer Bauern damit speziell schlecht und der Handel speziell gut weg. Die Bauern müssen die von den Nachfragern gesetzten, niedrigen Preise akzeptieren, ohne dass sie eine Ausweichmöglichkeit haben. Dies hat dazu geführt, dass Bauern heute für ihre Produkte rund 30 Prozent weniger bekommen als noch 1990, aber die Konsumenten andererseits höhere Preise bezahlen als 1990. Auf diese Weise hat sich die Wertschöpfung immer mehr weg vom Bauernhof hin in die Verarbeitung vor allem in den Handel verschoben. Wie sollen die Bauern auf diese Entwicklung reagieren? Die seit Jahrzehnten stereotype Antwort auf diese Frage lautet: Sie müssen innovativer und produktiver werden. Doch Innovation stösst in der Landwirtschaft schnell an Grenzen, wenn es um Produktinnovationen geht. Denn Verarbeiter und Handel wollen von den Bauern keine differenzierten Produkte, sondern homogene Rohstoffe wie Rohmilch oder eine bestimmte Weizensorte, wo es keine Rolle spielt, ob das Produkt vom Bauer A, B oder C kommt. Also konzentrieren sich Innovationen vorwiegend auf Produktivitätssteigerungen. Und tatsächlich sind die Landwirte in der Schweiz immer produktiver geworden. Doch leider hat ihnen dieser Fortschritt nicht geholfen. Stattdessen gerieten sie in die sogenannte landwirtschaftliche Tretmühle, wo Produktivitätsfortschritte vor allem zu Preissenkungen führen, da die Mehrproduktion auf keine erhöhte Nachfrage trifft. Auf diese Weise profitieren letztlich die Verarbeiter und der Handel von den Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft, da sie deren Erzeugnisse aufgrund höherer Produktivität zu geringen Preisen bekommen. Immer weniger Bauern produzieren so immer grössere Mengen, aber bekommen immer weniger Geld dafür. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus diesen Beobachtungen? Die Zahlen zeigen, dass nicht geringe Produktivität oder hohe Produzentenpreise, sondern die geringe Wertschöpfung auf dem Bauernhof das Problem der heutigen Landwirtschaft ist. Hier muss die Agrarpolitik in Zukunft ansetzen. Solange Bauern gezwungen sind, in erster Linie homogene Rohstoffe an einen marktmächtigen Handel zu verkaufen, ist eine Verbesserung der Einkommenssituation illusorisch.

(NZZ, 3. April 2019)

Was die Schweizer Bauern und Bäuerinnen erfahren – viel Arbeit, wenig Lohn -, das erfahren die Bauern und Bäuerinnen in den armen Ländern des Südens in noch viel drastischerem Ausmass. Ob Kaffee aus Costa Rica, Kakao aus Nigeria, Palmöl aus Indonesien, Bananen aus Honduras: Das grosse Geschäft mit allen diesen Produkten machen nicht die Produzenten und Produzentinnen, sondern die Unternehmen, die mit diesen Produkten Handel treiben und sie in den reichen Ländern des Nordens und des Westens verkaufen. Den Produzenten und Produzentinnen bleibt vom insgesamten Endpreis des Produkts ein kümmerlicher Rest, obwohl sie den wichtigsten und anstrengendsten Teil der Arbeit hierfür leisten. Selbst wenn wir im Supermarkt «faire» Produkte kaufen, kommt dem Produzenten und der Produzentin immer noch ein so kleiner Teil des Gewinns zugute, dass wir fernab sind von allem, was auch nur einigermassen als fair und gerecht bezeichnen werden könnte. Es handelt sich bei der «landwirtschaftlichen Tretmühle» also um ein globales Problem, das sich demzufolge auch nur global lösen lässt. Diese Lösung würde unter anderem beinhalten, dass mindestens die Hälfte des Verkaufserlöses eines Produkts den Produzenten und Produzentinnen zugute kommen müsste. Dass Produktion, Handel und Verkauf von Nahrungsmitteln nicht dem gegenseitigen Konkurrenzkampf, dem Preisdruck und der Spekulation ausgesetzt werden dürften. Und dass ein Land nur dann Nahrungsmittel exportieren dürfte, wenn die Ernährung der dortigen Bevölkerung sichergestellt wäre.