Der Kapitalismus ist die Katastrophe

Das staatliche russische Statistikamt befragte 60’000 Familien im ganzen Land zu ihren Lebensumständen. Auf die Frage, ob man für jedes Familienmitglied zwei Paar bequeme und der Jahreszeit angepasste Schuhe kaufen könne, antworteten 35 Prozent der Befragten mit Nein. 80 Prozent der Befragten klagten, sie hätten Probleme, sich mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen. Eine Woche Ferien pro Jahr könne sich nur jede zweite russische Familie leisten. Und zwei Drittel der Landbevölkerung hätten keine Toilette im Haus. Damit verglichen scheint beispielsweise der Kreml-Sprecher Dmitri Paskow auf einem anderen Planeten zu leben. Als er vor drei Jahren die Eisprinzessin Tatjana Nawka heiratete, trug er eine seltene Luxusuhr im Wert von 700’000 Franken am Handgelenk. Seine Flitterwochen verbrachte er auf einer der grössten Segelyachten der Welt, dem Maltese Falcon, vor der Küste Sardiniens. Mietkosten um die 400’000 Franken pro Woche. Ähnliche Zustände zum Beispiel auch in Grossbritannien: «Wir haben in Grossbritannien», so die britische Schriftstellerin A. L. Kennedy, «Behinderte und Rentner, die verhungern. Millionen sind auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Zahllose Bibliotheken sind geschlossen, das Studium wurde unerschwinglich, die Jungen werden nicht ausgebildet und sind perspektivlos – die Suizidrate unter Teenagern ist massiv gestiegen. Rund um den Globus herrscht ein Katastrophenkapitalismus: Ein Land nach dem andern wird ausgeplündert im Krieg der Superreichen gegen die Armen.»

(Tages-Anzeiger, 9. April 2019)

Soll sich etwas zum Guten wenden, dann muss sich alles zum Guten wenden. Denn der Kapitalismus ist weltweit so sehr in sich verzahnt, dass es eine Illusion wäre, nur da und dort ein kleines Rädchen der Maschine auszuwechseln und schon wäre alles gut. Es braucht eine weltweite Bewegung für eine neue, nichtkapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Wenn A. L. Kennedy vom «Katastrophenkapitalismus» spricht, so ist das irreführend. Dieser Begriff erweckt den Anschein, es gäbe neben dem gegenwärtigen «Katastrophenkapitalismus» noch andere, weniger katastrophale Varianten des Kapitalismus. Dies wäre ein Trugschluss. Es gibt nur einen Kapitalismus und dieser ist die Katastrophe.

Alle Länder der Welt müssten einen Pakt schliessen. Darin wäre enthalten, dass kein Land jemals ein anderes militärisch bedrohen oder angreifen würde. Dann könnte man sämtliche Armeen abschaffen und ebenfalls die Produktion von Waffen. Die frei gewordenen Mittel könnten dann zur Verbesserung der Lebensbedingungen eingesetzt werden. Denn dies wäre der zweite Punkt des Paktes: Alle Länder der Welt bemühen sich gemeinsam um eine neue Wirtschaftsordnung, in der es nicht mehr um Gewinnmaximierung und Wachstumswahn geht, sondern um die Sicherung der Lebensbedingungen der Menschen, aller Menschen, eingebaut in den Kreislauf der Natur und der Zukunft.