Wettlauf der Postboten: Krankmachendes Konkurrenzprinzip

K.F. ist Paketbote bei der Distributionsbasis Hinwil ZH – und hat langsam genug. «Was wir Postboten erleben, ist pure Ausbeutung», sagt er und führt aus: «Begonnen hat es vergangenen September mit der Einführung des Systems ‹mytime›. Damit wird unsere effektive Arbeitszeit registriert. Das heisst aber noch lange nicht, dass sie auch gutgeschrieben wird. Wie viele der geleisteten Stunden am Ende wirklich verbucht werden, entscheidet nämlich das computergesteuerte System selber. Indem es Durchschnittswerte aller Paketboten pro Tour ausrechnet – und diese dann für einzelne Mitarbeiter quasi zum Gesetz werden. Ein Beispiel: Brauchen Pöstler auf einer Tour montags für 240 Pakete durchschnittlich 7 Stunden, nimmt das System diese Zeit für die Berechnung einer Durchschnittszeit auf. Erbt nun ein weiterer Pöstler die Tour, muss er unter Leistungsdruck die gleiche Zeit schaffen. Benötigt er aber 8 Stunden, ist das sein persönliches Problem. Gutgeschrieben werden nur die 7 Stunden von den Vorgängern. Die übriggebliebene Stunde muss B. der Post schenken. Quasi zur Strafe, weil er zu langsam war. Ist er indes schneller, kommen seine Teamkollegen unter Druck, denn die Durchschnittszeit sinkt so für den kommenden Montag für diese Tour. Für F. ein Skandal: «Das Nachsehen haben am Ende alle Pöstler – die älteren oder nicht topfiten Mitarbeiter, weil sie unter enormen Leistungsdruck geraten. Und die schnellen Pöstler, weil sie damit ihrem Team schaden.» Alle Postboten stünden seither miteinander in Konkurrenz, die teils kiloschweren Postpakete schnellstmöglich zum Kunden zu bringen. Frauen treten gegen Männer an, Alte gegen Junge, Ortskundige gegen solche, die eine Tour nur selten machen. Besonders arm dran sind die älteren Mitarbeiter. Das sagt auch M.P., der im Raum Basel als Paketbote angestellt ist. Er ist 62 Jahre alt und muss die gleiche Leistung erbringen wie ein junger Pöstler: «Ich habe seit Einführung des neuen Systems darum Hunderte Stunden gratis gearbeitet, weil es für mich extrem schwer ist, die Vorgaben des Systems zu erfüllen.»

(www.blick.ch)

Es ist dieses verheerende kapitalistische Konkurrenzprinzip, das die Menschen in einen gnadenlosen gegenseitigen Wettkampf zwingt: Wer härter und schneller arbeitet als andere, zwingt diese dazu, noch härter und noch schneller zu arbeiten, womit er selber, der die anderen dazu angetrieben hat, nun seinerseits unter noch grösseren Druck gerät, noch härter und noch schneller zu arbeiten – bis an die äusserste Grenze des physisch und psychisch gerade noch Aushaltbaren. Dieses Prinzip durchzieht die gesamte kapitalistische Arbeitswelt und führt dazu, dass immer mehr Menschen an übermässigem Stress und Erschöpfung leiden und die Freude an ihrer Arbeit verlieren.

In einer nichtkapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wäre das Konkurrenzprinzip ausgehebelt. Menschen wären nicht mehr gezwungen, gegeneinander zu arbeiten, sie würden miteinander und füreinander arbeiten und jeder und jede würde dabei aufgrund ihrer Fähigkeiten, ihrer Begabungen und ihrer Belastbarkeit ihr Bestes geben. Der Erfolg eines Unternehmens oder Projekts wäre dann auf alle gleichmässig verteilt und niemand müsste sich als Versager oder Verlierer vorkommen. Dass dadurch die «Produktivität» des gesamten Systems leiden würde, diese Befürchtung ist wohl unbegründet. Im Gegenteil: Zufriedene, weder über- noch unterforderte Menschen erbringen wohl die bessere Gesamtleistung als Menschen, die ständig bis an den Rand ihrer Belastbarkeit oder darüber hinaus getrieben werden.