99-Prozent-Initiative: Und wieder solidarisieren sich die Armen mit den Reichen

 

Nachdem erste Meinungsumfragen noch ein knappes Ja für die 99-Prozent-Initiative gezeigt hatten, ist die Zustimmung gemäss einer neuen Umfrage von Tamedia und “20 Minuten” auf 40 Prozent gesunken. Was so mancher Initiative aus dem linksgrünen Lager schon in der Vergangenheit immer und immer wieder passierte, scheint sich einmal mehr zu wiederholen: Der erste Eindruck, die erste Reaktion, das erste Bauchgefühl sagt Ja – unter dem Eindruck einer meist finanzstarken Gegenpropaganda und gezielt geschürter Ängste zerbröselt die anfängliche Zustimmung immer mehr und endet meist mit einer mehr oder weniger deutlichen Ablehnung. Unglaublich: Nur ein winziger Teil der Bevölkerung, die Reichen und Reichsten, wären von dieser Initiative und der von ihr geforderten Erhöhung der Steuer auf hohe Kapitalgewinne betroffen. Alle anderen würden in Form höherer Steuergelder davon profitieren. Und doch wird aller Voraussicht nach einmal mehr die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung gegen ihre Interessen stimmen und sich in ihr eigenes Fleisch schneiden. Wie ist das zu erklären? Erstens scheint der grossen Mehrheit der Bevölkerung nicht bewusst zu sein, wie Reichtum zustande kommt. Immer noch geistert das Märchen vom Tellerwäscher herum, der es mit harter Arbeit schaffte, schliesslich Millionär zu werden. Tatsächlich aber ist der grösste Teil jenes Reichtums, der sich in den Händen der Reichen und Reichsten befindet, nicht erarbeitet, sondern geschenkt. Sei es durch Erbschaften, durch den Handel und das Vermieten von Immobilien, durch Finanz- und Rohstoffgeschäfte und durch Gewinnbeteiligungen in Form von Dividenden oder anderen Kapitalanlagen, die alle nur deshalb so lukrativ sind, weil Hunderttausende von “Büezern” und “Büezerinnen” für ihre tägliche Schufterei viel weniger Geld bekommen, als ihre Arbeit eigentlich Wert wäre. Dass es Geschenke und nicht Früchte harter Arbeit sind, zeigt sich nur schon darin, dass ein einziges Prozent der Schweizer Bevölkerung über mehr als 40 Prozent aller Vermögenswerte verfügt – so viel kann man auch durch härteste Arbeit gar nicht wirklich verdienen. Es ist somit wohl nicht übertrieben, zu behaupten, dass das Geld in den Händen der Reichen und Reichsten nicht nur geschenktes, sondern sogar im eigentlichen Sinne geraubtes Geld ist. Noch krasser wird es, wenn wir uns das Vermögen der 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer anschauen: Diese besitzen nämlich 709 Milliarden Franken – eine Summe, die dem jährlichen Militärbudget der USA entspricht! Der so genannte Gini-Koeffizient gibt an, wie gerecht der Wohlstand in einem Land verteilt ist. Liegt er bei Null, besitzt jeder so viel wie alle anderen. Läge der Index hingegen bei eins, so gehörte einem Einzelnen alles. Die Schweiz steht bei 0,48 – im internationalen Vergleich ein schlechter Wert. Die UNO gibt für alle Länder, die über 0,4 liegen, eine Warnung betreffend zu grosse Vermögensunterschiede aus und definiert einen Wert von 0,6 als Hinweis für eine mögliche zukünftige Revolution! Zweitens stellen wir, was die Schweiz betrifft, ein auf den ersten Blick nahezu unbegreifliches Phänomen fest: Obwohl das Gesamtvermögen in so wenigen Händen konzentriert ist und sich unaufhörlich die Arbeit der Armen in das Kapital der Reichen verwandelt, solidarisieren sich in unserem Land dennoch nicht etwa die Reichen mit den Armen, sondern die Armen mit den Reichen! Nur wenige empören sich über die Hungerlöhne und die Arbeitsbedingungen auf den untersten Rängen der gesellschaftlichen Machtpyramide und die sagenhaften Reichtümer in den Händen der Reichen. Aber viele bemitleiden den Reichen, der heute schon erhebliche Steuern zahle und dem man nicht noch weitere Lasten aufbürden könne, ohne der “Wirtschaft” erheblichen Schaden zuzufügen. Und dann ist da noch, drittens, die Abstimmungspropaganda. Eigentlich geradezu grotesk: Ausgerechnet ein Teil jenes Geldes, das von den Reichen den Armen auf unzähligen unsichtbaren Wegen abgeknöpft worden ist, wird nun dazu verwendet, gegen die 99-Prozent-Initiative Werbung zu betreiben: In der “Schweiz am Wochenende” veröffentlichen die Jungfreisinnigen ein doppelseitiges Inserat für 114’350 Franken, in der “Sonntagszeitung” wird ein Inserat für 67’165 Franken folgen. Von so viel (gestohlenem) Geld können die Initiantinnen und Initianten der 99-Prozent-Initiative nur träumen. Und so werden am 26. September 2021 höchstwahrscheinlich nicht nur die 99-Prozent-Initiative der Juso, sondern auch ein kleiner, aber hoffnungsvoller Schritt von ein klein wenig mehr sozialer Gerechtigkeit zu Grabe getragen und das Märchen von den Reichen, die sich ihren Reichtum hart erarbeitet haben, und von den Armen, die an ihrer Armut selber Schuld seien, wird unbeirrt weitergeträumt…