3sat, 22. September 2024: “Alles im Wunderland” – eine bitterböse Schulkritik…

Selten habe ich eine so brillante und scharfsinnige Kritik am herrschenden Erziehungs- und Schulsystem angetroffen wie an diesem 22. September 2024 auf 3sat, in der Satiresendung “Die Anstalt” zum Thema “Alles im Wunderland” mit Max Uthoff. Im Folgenden einige zentrale Passagen aus seinen Aussagen zu den Themen Erziehung und Schule.

Diese seltsame Sucht nach mehr Autorität in der Politik, woher kommt das? Könnte es sein, dass sich da auch das Grösserwerden im eigenen Haushalt abbildet? Und zwar nicht nur in rechten Haushalten. Alice landet im Wunderland und trifft stets auf grössere Gestalten, ältere Gestalten, die sie unentwegt herabwürdigen. Was meinen Sie? Würden Sie mit einem Erwachsenen, den Sie lieben, ebenso sprechen wie mit Ihren Kindern? Würden Sie zu einem Tiefbauingenieur, mit dem Sie liiert sind, sagen: “Sei artig!” oder “Benimm dich!” Würden Sie einer Ärztin, mit der Sie verheiratet sind, sagen: “Das tut man aber nicht!” oder “Da war jetzt aber jemand besonders unartig!” Wir beugen uns von oben herab zu den Kindern und sagen ihnen, was sie zu denken und zu fühlen haben. Bizarre Feststellungen wie “Das hat doch gar nicht weh getan!” oder “Sag mal, wie alt bist du eigentlich?” oder “Na, wie heisst das Zauberwort?”

Immer diese vermeintliche Weisheit der weissen Königinnen und der verrückten Hutmacher, die glauben, im Recht zu sein. Einzige Begründung: Alter. Das Ansammeln von Lebensjahren reicht aus als Begründung für Zurechtweisung, wir beugen uns von oben herab zu den Kindern und beurteilen sie aus unserer Sicht, was sich Adultismus nennt, weil wir glauben, die sind noch nicht fertig, da müsse man noch herumschrauben. Aber die sind schon fertig, wir sollten sie nur in erster Linie in Ruhe lassen…

Und in der Schule geht es weiter mit den Demütigungen. Was ist eine Fünf in Mathe anders als eine Demütigung. Und Schülerinnen und Schüler, die eine bessere Note haben, freuen sich in diesem Moment ja nur, weil sie die Erwartungshaltung der Gesellschaft oder der Eltern erfüllen. Dieses permanente System der Bewertung von kleinen Menschen, nicht etwa nach Talenten, Solidarität, Kollegialität, nein, wir ersetzen die kindliche Neugierde durch formatiertes Wissen, weil wir vergessen, dass wir vor unserer Formatierung auch einmal neugierig gewesen waren. Nutzloses Wissen, dass zurecht sogleich wieder vergessen geht, weil nur Wissen, dass man intrinsisch und mit Neugierde lernt, dauerhaft bei einem bleibt. Fast das gesamte Wissen, das wir in der Schule lernen, kann man in 20 Sekunden googeln. Das Wissen der Welt verdoppelt sich alle 15 Jahre. Heute ginge es vor allem darum, zu lernen, wie man sich gewisses Wissen vom Leibe halten kann.

Immer noch beurteilen wir Schülerinnen und Schüler danach, wie gut sie gewisse Informationen abrufen können, die sie zeitlebens nie mehr brauchen werden. Und stellen Sie sich nicht vor, dass die Kinder es nicht merken. Meine jüngste Tochter kam nach Hause, da war sie in der 2. Klasse, acht Jahre alt, stellte sich vor uns hin und sagte: “Mama, Papa, die Schule steht meinem Leben im Weg.

Wenn wir unseren Kinder schon in frühen Jahren die Erkenntnis von Søren Kierkegaard vermitteln würden, der Vergleich ist das Ende des Glücks und aller Anfang der Unzufriedenheit, dann würden sie ihre Brotzeitboxen augenblicklich zusammenklappen und nach Hause gehen…

Wie sollen wir eine Demokratie mit Leben füllen, wenn alles, was wir Kindern bis zum 18. Lebensjahr zumuten, die Wahl eines Klassensprechers ist, der nichts zu entscheiden hat. Die bayrische Staatsregierung will nun vermehrt den Kindern Demokratie näherbringen, und wie machen sie es? Indem sie ihnen zusätzlich zum normalen Unterrichtsstoff jetzt jede Woche eine Viertelstunde Verfassungsgeschichte lehren. Das ist etwa so, wie wenn man jemandem das Schwimmen beibringen wollte, indem man ihm einen nassen Waschlappen ins Gesicht wirft...

Und diese lächerliche Panik, die uns immer wieder bei diesen dussligen Pisastudien erfasst. Man hat festgestellt, dass der Schüler in Mathe nicht so gut ist, und was macht man? Jetzt gibt es einfach noch mehr von diesem erfolglosen Matheunterricht, in der Hoffnung, dass noch mehr vom selben zu einem guten Ergebnis führen wird. Gekürzt wird dafür bei so “sinnlosen” Fächern wie Kunst und Musik.

Unser Schulsystem regeneriert in seiner Mehrstufigkeit die bestehende Klassengesellschaft. Und es ist in der Benachteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte zutiefst rassistisch…

Der Unterricht beginnt am Morgen zu einer Zeit, da die meisten Schlafforscher noch nicht einmal ihren ersten Kaffee getrunken haben…

Es gibt weltweit keine einzige Studie, die klar belegt, dass Hausaufgaben irgendeinen pädagogischen Nutzen haben, trotzdem können wir nicht damit aufhören…

Die einzige Begründung, die uns für für den menschenverachtenden-Ellbogen-Demütigungsvergleich in Schule und Gesellschaft einfällt, ist: Es hat uns ja auch nicht geschadet. Also: Der Vergleich ist nötig, schon bei den Kleinsten, der Druck für später, denn auch für uns Erwachsene gilt: Der Vergleich ist der Schmierstoff des Systems…

Eigentlich schon verrückt, dass all dies zur besten Sendezeit über Zehntausende von Bildschirmen flimmern kann und auch das Studiopublikum begeistert mitklatscht, ohne dass es längst fällige, radikale Reformen dieses Systems auszulösen vermag, das Uthoff so meisterhaft und zutreffend kritisiert. Aber auch die Worte von Johann Heinrich Pestalozzi, des wohl berühmtesten Pädagogen aller Zeiten, der schon vor über 250 Jahren genau das Gleiche sagte – “Vergleiche nie ein Kind mit dem andern, sondern stets nur jedes mit sich selber” – sind bisher im Leeren verhallt. Die Kräfte des Bewahrenden und die Macht der Gewohnheit müssen schon nahezu unerschütterlich übermächtig sein und zutiefst resistent gegenüber jeglicher Vernunft.